Kulturengagement gegen Orchesterprofil?

Nach einem knappen Jahr im Amt sagt Generalmusikdirektor Renes: „In Bremen stimmt das Verhältnis von Basis und Event nicht“. Für sein Orchester heißt das: keine teuren Stars. Die Philharmonische Gesellschaft jedoch möchte volle Säle. Nun gibt es Streit um’s Geld – die taz sprach mit beiden

Barbara Grobien: „Es war von Anfang an klar, dass wir kein festes Geld für die Grundfinanzierung zur Verfügung stellen können“

Mit der Einstudierung von Mahlers Neunter Sinfonie beim letztjährigen Musikfest hatte sich Generalmusikdirektor Lawrence Renes mit dem Philharmonischen Staatsorchester eindrucksvoll vorgestellt. Ein halbes Jahr später präsentierte sich die neue „Bremer Philharmoniker GmbH“ in schönster Harmonie: Gesellschafter sind das Orchester, der Staat und die Philharmonische Gesellschaft zu je 26 Prozent sowie das Bremer Theater mit 22 Prozent.

Dass eine Million Euro, die der Kultursenator der neuen GmbH zur Verfügung stellte, nicht ausreichen werden, um ein Orchesterbüro und elf fehlende Stellen zu finanzieren, war klar.

taz: Herr Renes, fast ein Jahr sind Sie da, Sie haben drei Opern einstudiert und fünf Doppelkonzerte dirigiert, eines steht noch aus. Was ist das für ein Gefühl?

Ein gutes. Es gibt hier ein wunderbares Publikum, das Orchester hat mich sozusagen adoptiert. Die Leute sprechen mich auf der Straße an, ich wohne im Schnoor, es gibt eine großartige Arbeitsmoral im Orchester.

Was ist aus Ihrer Idee geworden, für viele Publikums-Schichten etwas anzubieten? Wir haben ja die recht feste Form der Doppelkonzerte.

Lawrence Renes: Ich stelle mir eine völlige Neustrukturierung des Abonnenten-Systems vor: Unterschiedliche Abos, auch unterschiedlich große, so dass mehr Menschen sagen können: Das ist etwas für mich.

Sie haben bis jetzt hauptsächlich Ihre Liebe zur Romantik und vor allem der Spätromantik gezeigt – aber auch immer gesagt, dass zeitgenössische Musik gemacht werden muss. Wie geht es weiter?

Spätromantik wird immer bleiben. Ich werde noch mehr Mahler und Bruckner machen, aber auch unbekanntere Sachen. Zum Beispiel Berlioz: Die Kantaten, die er für den Rom-Preis geschrieben hat – den er ja nie bekam – werden nie gemacht.

Dann will ich einen einzelnen Komponisten umfassender vorzustellen. Ich dachte zuerst an Leos Janacek. Wir machen „Das schlaue Füchslein“, dazu wollte ich in der Kirche die „Glagolithische Messe“ aufführen und noch ein Orchesterwerk. Auch von Rossini sind viele Facetten völlig unbekannt. Dann natürlich die Klassiker und Neue Musik.

John Adams, den Sie kürzlich gemacht haben, ist nicht gerade neue Musik.

Ich sage besser: relativ neue Musik. Es gibt da so unendlich viele Probleme der Akzeptanz und auch der Probenumstände – aber ich werde es in Angriff nehmen.

Was ist aus angekündigten Initiative für Schulprojekte geworden?

Es gibt eine Projektgruppe, in der Leute aus der „Glocke“ sind, Musiker, Lehrer und ich. Zwar kommen jetzt schon Klassen zu Generalproben, aber wir müssen auch eine Struktur herstellen. Dazu ist aber noch der Austausch von Erfahrungen notwendig.

Wie haben Sie die Bremer Kulturpolitik erfahren?

Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt ist prima. Ich habe jedoch Angst, dass die Politiker das, was Bremen ausmacht, vernachlässigen. Das Verhältnis von Basis und Event stimmt hier nicht. Wenn man zu viele Eventprojekte macht, wird das Publikum immer kleiner. Aus diesem Teufelskreis ist kaum noch herauszukommen.

Sie hatten zur Bedingung Ihres Vertrages gemacht, dass es 87 Stellen geben wird. Wie viele sind es heute?

Leider immer noch 76. Ich habe meinen Vertrag als Geschäftsführer noch nicht unterschrieben, weil wir einfach noch keinen seriösen Wirtschaftsplan machen können.

Es gibt ja nun einen Konflikt mit der Philharmonischen Gesellschaft, die nach Ihrer Darstellung 153.000 Euro zugesagt hat. Die wiederum macht nun ihre Bereitschaft, Gelder einzuwerben, davon abhängig, welchen künstlerischen Plan Sie vorlegen. Was ist los?

Dafür, dass es keine schriftliche Vereinbarung gibt, ist unter anderen Senator Böse verantwortlich. Nun sagt die Philharmonische Gesellschaft, sie kann und will keine institutionelle Förderung leisten.

Was will sie denn?

Selber sagen, was gespielt wird. Sie wollen, dass Anne Sophie [Mutter, d. Red.] kommt. Wunderbare Geigerin, aber das ist nicht das, was ich hier will. Wir müssen das Orchester von innen her profilieren. Diese Stars wollen viel zu viel Geld. Das muss in der jetzigen Situation nicht sein.

Aber es gibt in dieser Gesellschaft eine tolle Energie, die haben so viel geleistet – ich hoffe, dass es gelingt, dass ihnen ihre Verantwortung gegenüber dem Orchester wieder bewusst wird.

Wir sind keine Berliner Philharmoniker und ich kein Claudio Abbado. Aber wir machen tolle Musik, und es ist sehr wichtig, die schlechten Umstände von der Lust am Musizieren zu trennen. Ich denke, das haben wir schon bewiesen.

Fragen:
Ute Schalz-Laurenze

taz: Frau Grobien, die Philharmonische Gesellschaft, der Sie vorstehen, ist 26-prozentige Gesellschafterin der Bremer Philharmoniker GmbH. Früher war sie Veranstalterin. Welche Aufgaben hat sie heute?

Barbara Grobien: Aufgaben haben wir nicht. Wir sind im Programmbeirat vertreten, nehmen wie alle anderen auch an den Gesellschafterversammlungen teil und an den Aufsichtsratssitzungen.

Die Geschäftsführung geht damit an die Öffentlichkeit, dass Sie die verprochenen 153.000 Euro nicht zahlen wollen. Wie konnte es zu einem solch gravierenden Missverständnis kommen?

Es war von Anfang an klar, dass wir kein festes Geld für die Grundfinanzierung zur Verfügung stellen können, es gibt auch nichts Schriftliches darüber. Wir haben nur treuhänderisch das Geld unserer Mitglieder und sporadisch das, was wir über Sponsoren kriegen.

Ich finde es einen schlechten Stil, unsere Grundbedingungen, nämlich nach Projekten und Möglichkeiten zu fördern, zu Forderungen umzudrehen.

Unter welchen Bedingungen sind Sie bereit, Gelder zu aquirieren?

Wir können über den Freundeskreis, den wir nach der Kündigung unseres Vertrages mit der Stadt wegen der Defizite gegründet haben, nur einzelne Projekte finanzieren. Aber natürlich nicht nur die von Herrn Renes.

Gibt es unterschiedliche Meinungen über die entsprechenden inhaltlichen Konzeptionen?

Allerdings. Genau da liegt das Problem. Die neue Geschäftsführung will, und das kann ich auch gut verstehen, erst einmal eine Profilierung des Orchesters. Wir meinen, dass wir die Säle erst einmal wieder füllen müssen. Und das geht über das Engagement von Stars und Projekten wie der „Mass“ von Bernstein. Auch der Zyklus der Klavierkonzerte ist nahezu ausverkauft.

Fragen: usl

Kommentar zum Konflikt zwischen Philharmonischer Gesellschaft und dem Generalmusikdirektor: Seite 25