randale am 1. mai
: Deeskalation braucht Tradition

Die Tradition ist ungebrochen. Rund um den 1. Mai gab es wieder heftige Ausschreitungen – und dennoch war bei genauem Hinsehen vieles anders als in den Vorjahren.

Kommentarvon GEREON ASMUTH

Die Polizei hat sich bis zur Schmerzgrenze zurückgehalten – in der Walpurgisnacht wie am 1. Mai. Sie könnte noch lernen, dass zur Deeskalation auch ein rechtzeitiges Abrücken gehört, aber sonst ist ihr kein Vorwurf zu machen. Die linken Gruppierungen haben ihre Demos friedlich zu Ende geführt. Zur Randale kamen sie, wenn überhaupt, zu spät. Und in Prenzlauer Berg wie in Kreuzberg wurde stundenlang friedlich gefeiert – teils gar, als nebenan Steine flogen.

Doch alte Traditionen werden oft von neuen Akteuren übernommen. Das christliche Weihnachten ist ein Kommerzfest. Die einst subkulturelle Love Parade wird von der Messe GmbH getragen. Und am 1. Mai zerstören nun Migrantenkids ihren Kiez.

Wenn jetzt die üblichen Populisten ein Ende der Deeskalation fordern, reagieren sie ähnlich blindwütig wie die Steinewerfer. Denn ein früheres und härteres Eingreifen der Polizei würde die Krawalle allenfalls vorverlegen, wahrscheinlich sogar verstärken. Einzige Alternative wäre eine Absage sämtlicher Veranstaltungen in den traditionellen Krawallkiezen. Das aber gelänge nur mit Unterstützung der Demonstrationsveranstalter, was unwahrscheinlich ist. Oder durch ein Verbot, was erst Recht zum Anlass für gewaltige Reaktionen genommen würde. Deeskalation allein kann Gewalt nicht verhindern. Aber nur wenn Zurückhaltung zur neuen Tradition wird, könnte auch sie irgendwann Nachahmer finden.