Lauschangriff auf Kofi Annan

UN-Generalsekretär ist vor dem Irakkrieg vom britischen Geheimdienst ausspioniert worden, erklärt Exministerin Clare Short. Sie selbst habe Mitschriften von Gesprächen Annans gelesen

DUBLIN taz ■ Der britische Geheimdienst hat vor dem Angriff auf den Irak den UN-Generalsekretär Kofi Annan bespitzelt. Das behauptete die damalige britische Ministerin für Entwicklungshilfe, Clare Short, die aus Protest gegen den Krieg voriges Jahr zurückgetreten ist. In einem Interview mit der BBC sagte sie gestern: „Ich weiß das, weil ich Abschriften von Kofi Annans Gesprächen gesehen habe. Auch ich habe in den Wochen vor dem Krieg mit Kofi gesprochen und dachte: Oh je, auch davon wird es ein Transkript geben, und die Leute können dann lesen, was Kofi und ich gesagt haben.“

Short sagte, sie habe auch die Abhörprotokolle von anderen UN-Diplomaten gesehen. Ob die Geheimdienstaktion legal war, wisse sie nicht. „Ich nehme es aber an“, sagte sie. „Es klingt komisch, aber ich kenne mich bei diesen juristischen Fragen nicht aus. Die viel wichtigere Frage ist jedoch, ob der Angriff auf den Irak rechtlich abgesichert war und ob der Generalstaatsanwalt in letzter Minute überredet werden musste, den Krieg abzusegnen – gegen den Rat der juristischen Expertin im Außenministerium, die deshalb zurückgetreten ist. Musste die von den chemischen und biologischen Waffen des Irak ausgehende Gefahr aufgebauscht werden, um den Generalstaatsanwalt zu überreden, sein Plazet zu geben?“

Premierminister Tony Blair nannte die Äußerungen Shorts „zutiefst unverantwortlich“. Zugleich lehnte er jede Stellungnahme zu Geheimdienstaktionen ab. Seine Regierung handele in Übereinstimmung mit nationalen und internationalen Gesetzen und im besten Interesse des Landes. Der ehemalige Geheimdienstler Richard Tomlinson sagte hingegen, dass illegale Operationen in seiner aktiven Zeit an der Tagesordnung gewesen seien. „Viele meiner früheren Kollegen hatten ein ungutes Gefühl bei den Aufgaben, die ihnen gestellt wurden.“ Der UN-Direktor in Brüssel, Hassen Fodha, hält die Bespitzelung Annans ebenfalls für illegal. „Die Arbeit der Vereinten Nationen ist vollkommen transparent“, sagte er. „Es gibt gar keinen Grund, uns auszuspionieren.“

Anlass für Shorts Interview mit der BBC war der Prozess gegen die ehemalige Geheimdienstmitarbeiterin Katharine Gun, der vorgestern eingestellt werden musste, weil die Staatsanwaltschaft keine Beweise vorlegte. Gun, die als Übersetzerin arbeitete, wurde Geheimnisverrat vorgeworfen.

Sie hatte eine E-Mail an die Presse lanciert, in der ein US-amerikanischer Sicherheitsbeamter die britische Regierung um Mithilfe bei der Abhörung von UN-Diplomaten bat. Offenbar ließ die Staatsanwaltschaft die Klage fallen, um zu verhindern, dass Guns Anwälte Dokumente vorlegten, die beweisen, dass das Außenministerium den Angriff auf den Irak für völkerrechtlich illegal hielt.

RALF SOTSCHECK

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