„Nicht nur Trainingsgelände und Stadion“

Dietmar Beiersdorfer, Sportlicher Leiter beim Hamburger SV, über seine Identifikationsprämie für Fußballprofis

taz: Herr Beiersdorfer, der HSV hat als erster Fußball-Bundesligist eine Identifikations- und Integrationsprämie in die Verträge seiner Spieler aufgenommen, die immerhin 6 Prozent des Grundgehalts ausmacht.

Dietmar Beiersdorfer: Ich bin der Meinung, dass ein Spieler neben seiner Hauptaufgabe, gut Fußball zu spielen, auch dazu beitragen muss, dass der Verein sich entwickelt, zum Beispiel in der Jugendarbeit und der Nachwuchsförderung. Mit der Prämie wollen wir erreichen, dass bestimmte Dinge zur Selbstverständlichkeit werden.

Welche Dinge?

Der Spieler lernt, dass der HSV nicht nur aus Trainingsgelände und Stadion besteht, sondern dass da Leute dahinter stecken und eine Menge Arbeit. Dadurch entsteht ein Plus an Identifikation – und wiederum eine höhere Leistungsbereitschaft. Im Prinzip schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen bietet man den Profis an, sich mit dem Verein identifizieren zu können, zum anderen ist es für unseren Nachwuchs natürlich ein wahnsinniger Motivationsschub, wenn ab und zu mal ein Profi vorbeischaut.

Wer ist auf die Idee gekommen?

Die Idee stammt von mir und basiert auf Erfahrungen, die ich während meiner aktiven Zeit gesammelt habe. Ich wollte diesen Punkt als strategisches Element des Vereins fest verankern. Und wo kann man das besser als direkt im Vertrag?

Was muss ein Spieler tun, um in den Genuss der Prämie zu kommen?

Wir wollen Talentsichtungstage veranstalten – und da soll der Spieler zwei, drei Mal im Jahr zu Verfügung stehen. Außerdem haben wir in unserem Jugendinternat einen Brunch eingeführt, wo unsere Profis mit den Schülern an einem Tisch sitzen. Und es gehört dazu, dass man auch mal bei einer Trainingseinheit eines Jugendteams anwesend ist oder zu einem Spiel geht.

Wie viele Stunden muss ein Spieler pro Monat dafür aufbringen?

Es handelt sich nicht um tägliche oder wöchentliche Einsätze. Auch bei uns sind die Profis in erster Linie dazu da, möglichst guten Fußball zu spielen.

Macht in Stunden?

Alle zwei Monate vielleicht zwei bis drei Stunden.

Das ist wirklich nicht viel.

Sag ich doch. Es geht nicht darum, irgendetwas mit der Stechuhr zu tun, sondern vielmehr um die Geste und die Bereitschaft, sich mit dem Verein auseinanderzusetzen.

Wie wird festgestellt, ob ein Profi die Vertragsklausel auch tatsächlich erfüllt?

Der Profi muss sich nicht selbst darum kümmern, sondern wir, der Verein, werden ihn ansprechen und ihm vorschlagen, an einer bestimmten Aktion teilzunehmen, zum Beispiel mit der A-Jugend mal essen zu gehen oder so etwas in der Art.

Weil der Spieler von alleine nie auf eine solche Idee käme?

Nein, weil ich es für die Aufgabe des Vereins halte, den Profis, gerade den neuen, das zu vermitteln. Die haben es ja auch nicht immer leicht, wenn sie in eine neue Stadt kommen und dort keine richtige Anlaufstation haben. Die fahren manchmal zum Training und anschließend wieder nach Hause – und das war’s dann. Wir wollen dem Spieler vermitteln, dass er bei uns mehr haben kann, er soll sich beim HSV ein bisschen heimisch fühlen. Nur wenn das Klima und die Atmosphäre in einem Verein gut sind, kann sich Leistung entwickeln.

Wie haben die Spieler auf die neue Klausel reagiert?

Die machen das gerne. Sie müssen vom Verein nur dazu aufgefordert werden. Es geht ja auch gar nicht darum, dass man sagt: Du musst das ableisten, sonst kriegst du weniger Geld, sondern Ziel ist, dass es im Bewusstsein des Spielers einen festen Platz bekommt.

Gab es schon Spieler, die gesagt haben: Ich pfeife auf die Prämie, ich bin da, um Fußball zu spielen, alles andere interessiert mich nicht?

Das habe ich bei den sechs, sieben Verträgen, die wir bisher mit der neuen Klausel abgeschlossen haben, noch nicht erlebt.

Weil Sie Spieler, die so reagieren, ohnehin nicht verpflichten würden?

Das käme auf den Einzelfall an. Wenn ein Zidane sagt, ich habe so viele Werbegeschichten, da kann ich nebenher nicht noch eure E-Jugend trainieren, dann würde ich ihn deshalb nicht verstoßen. Aber für die Spieler ist das gar kein Thema, weil es auch eine schöne Sache ist, sich mit Jugendlichen auseinanderzusetzen.

Trotzdem stellt sich die Frage: Sind Spieler heutzutage wirklich nur noch per Geld dazu zu bewegen, sich mit ihrem Verein zu identifizieren?

Ja, diese Frage stellt sich. Und auch mir ist bewusst, dass man Identifikation nicht kaufen kann.

INTERVIEW: FRANK KETTERER