Kein Rausch, nur Sein

Luis Buñuel, Wiglaf Droste und Uli Hannemann philosophieren übers Rauchen. Mit der Anthologie „Smoke smoke smoke that Cigarette“ ist der Berliner Verleger Klaus Bittermann derzeit auf Tour

VON DETLEF KUHLBRODT

Seit einem Monat ist Klaus Bittermann unterwegs. In Berlin begann die Tournee, die ihn u. a. nach Bielefeld, Hamburg, Marburg, Sulzbach-Rosenberg führte. Im Gepäck hat der Berliner Verleger eine Anthologie. Sie heißt „Smoke smoke smoke that Cigarette“ und dient der Verherrlichung des Rauchens. Meist wird er dabei von seinem Mitherausgeber Franz Dobler begleitet. Weitere Autoren der Anthologie sind u. a. Wiglaf Droste, Fritz Eckenga, Kinky Friedman, Françoise Cactus, Luis Buñuel und Uli Hannemann. Wenn die Veranstaltungen in Ein-Raum-Räumen stattfinden und Bittermann zu den Klängen schöner Lieder wie „Give the anarchist a cigarette“ seine etwa einen Meter lange Teleskopzigarettenspitze hervorholt und genüsslich erste Züge tut, ist das Dringliche seines Anliegens nicht mehr so deutlich wie noch vor einem Jahr.

Wohl wissend, dass das auch ein bisschen lächerlich ist, bemüht er sich um ein dandyhaftes Auftreten. „Die Sinnlosigkeit der Aktivität, die der Dandy mit höchstem Raffinement pflegt, ermöglicht die unbeteiligte Objektivität, die seit Kant als unabdingbare Voraussetzung für rein ästhetische Urteile galt“, heißt es in einem alltagsphilosophischen Text von Richard Klein. Rauchen sei eine „derart wertlose, unproduktive Aktivität, dass es sich geradezu anbietet, der einzige Lebensinhalt zu werden, wenn man seinem Leben allein einen ästhetischen Sinn geben und es nicht dem Nützlichkeitsprinzip unterwerfen will“. Der Einwand, dass die Sucht die eigentlich doch überflüssige Zigarette in etwas Sinnvolles und Notwendiges verwandelt, wird durchaus in diesem Text und anderen Texten der interessanten, klugen und unterhaltsamen Anthologie berücksichtigt.

Einige Texte befassen sich mit der Kulturgeschichte des Rauchens, mit Rauchen und Kino (Klaus Bittermann), andere, wie der von Françoise Cactus, erzählen sehr schön von der eigenen Zigarettenrauchbiografie und enden mit deutlichen Worten: „Es geht nur um Kontrolle, Überwachung und individuelle ‚Schuld‘, die extrem betont wird, damit die massive Schuld der Macht nicht mehr auffällt. Ich sage nur eins: Wenn jemand die ganze Erde verhunzt hat, dann nicht ich! Auch wenn ich mächtig gepafft habe!“ Wehmütig blickt der Kabarettist Arnulf Rating zurück auf die Zeit, als man im oberen Deck der Doppeldeckerbusse noch rauchen konnte; Jenny Zylkas schöne Geschichte handelt von einer LORD-extra kettenrauchenden Oma.

Bernd Gieseking erinnert daran, dass der Bund zurzeit 14,1 Milliarden Euro durch die Tabaksteuer einnimmt, aber nur 2,9 Milliarden im Gesundheitsbereich ausgibt; Professor Beda M. Stadler, Direktor des Berner Instituts für Immunologie, hat sich die 700-seitige amerikanische Studie vorgenommen, die die großen Gefahren des Passivrauchens belegen soll, und kommt zu dem Schluss, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Sterblichkeit nachgewiesen wurde. Bei bestimmten Krankheiten – Depressionen und Schizophrenie – könne Rauchen hilfreich sein. Viel besser belegt als die Gefahren des Passivrauchens sei, dass Rauchen das Risiko senkt, an Parkinson und an schwarzem Hautkrebs zu erkranken.

Sarah Schmidt basht in einer großartigen Polemik die (Achtundsechziger-)Generation, die hauptsächlich für das Rauchverbot verantwortlich sei: „Das passt alles so gut zusammen, eure Angst vor dem Moslem, Angst vor dem übermächtigen Chinesen, Angst vor der Klimakatastrophe, vor vergiftetem Essen, dreckiger Luft, Achselbehaarung und Altersarmut, vor der Liebe und dem Sex.“ „Ihr Kreuzberger Straßenschwellenselbstbezahler!“, „ihr Pfennigfuchser, die ihr so genau wisst, wie Leben auszusehen hat“.

Der Islandexperte und Ex-Raucher Wolfgang Müller schreibt über Pornos, Karl May und den Zusammenhang von sexuellem Begehren und Zigaretten. Gerade schwule Männer hätten früher ganz viel rauchen müssen, um Erotik zu sublimieren und ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen. „Mit der Entkriminalisierung der Homosexualität (…) setzte sich die wahnwitzige Vorstellung durch: Heute braucht eigentlich niemand mehr zu rauchen, da man ja offen schwul sein darf“. Inwieweit die Rauchverbote „die Folge aggressiv um sich greifender, nicht wahrgenommener Heteronormativität“ sind, ist mir allerdings nicht ganz klar.

Die Texte sind so ambivalent wie ihr Thema und dramatisieren oft sehr schön auch die identitären, zwanghaften und masochistischen Elemente des Zigarettenrauchens. Alles und man selbst verändert sich mit der Zeit recht rapide; als langjähriger Raucher ist man aber irgendwie zu Hause in dem über die Jahre immer ungefähr gleichbleibenden Geschmack seiner Sorte. „Rauchen ist das Zen unter den selbstzerstörerischen Gewohnheiten: kein Rausch, kein Genuss, nur Sein und verwehende Zeit“, weiß Hartmut El Kurdi.

Kaum berücksichtigt wird komischerweise die seltsame Zone zwischen Ja und Nein, zwischen Rauchen und Nichtrauchen, die man betritt, wenn man versucht, der Rauchsucht zu entfliehen, um wieder bei schönen, selbstbestimmten Zigaretten zu landen. Die es ja auch geben soll.

„Smoke smoke smoke that Cigarette“. Hrsg. von Klaus Bittermann und Franz Dobler, Edition Tiamat, 224 Seiten, 15 €