KABINENPREDIGT
: Herthas kollektive Minimalkunst

Es war wieder einmal der kleine Unterschied. Erst vier Minuten vor Schluss erzielte Hertha am Freitag gegen Aufsteiger Köln das Tor zum 2:1. In Trippelschritten emanzipieren sich die Berliner vom Bundesligageschlecht der notorisch Mittelmäßigen. Nach drei 1:0-Erfolgen folgte nun auch der dritte 2:1-Sieg. Gladbach, Leverkusen, Stuttgart, Hoffenheim, Hamburg und nun eben auch Köln. Die Liste derer, die sich teilweise gar besser als Hertha sahen und dennoch am Ende knapp das Nachsehen hatten, wird immer länger. Und das Punktekonto des Hauptstadtklubs wächst und wächst. Seit dem Bundesligaaufstieg 1997 hat man noch nie so schnell die 30-Punkte-Marke erreicht wie in dieser Saison.

Nur hat vom Berliner Aufstieg in der bundesweiten Hoffenheim-Hysterie kaum einer etwas mitbekommen. Die wenigen, die es bemerkten, betrachteten die vorderen Platzierungen der Hertha als eine Art Gaunerstück. Eine Darbietung von Falschspielern. So fühlte sich Fernsehkommentator Marcel Reif am Wochenende zu einer Klarstellung bemüßigt: Hertha habe nicht gemogelt und stehe zu Recht da oben auf dem dritten Platz, der zur Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation berechtigt.

Es mehren sich die Stimmen derjenigen, die bereit sind, den Minimalismus der Berliner als Kunstform anzuerkennen. Am Samstag durfte Manager Dieter Hoeneß darüber im „ZDF-Sportstudio“ berichten. Sein kaum zu bremsender Redefluss offenbarte, dass er auf diesen Tag gewartet hatte. Moderator Michael Steinbrecher erkannte: „Der Mann hat Erklärungsbedarf.“

Selbst die Störmanöver von Marko Pantelic können den ehemals so labilen Verein nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Nachdem der einst als unersetzlich geltende Serbe erst selbst erfolglos gegen die Demontage seines Starstatuses durch Trainer Lucien Favre ankämpfte, schickte er letzte Woche seinen Anwalt Wolfgang Müllenbrock vor. Der warf dem Hertha-Coach über die Medien vor, seinen Schützling zu mobben. Dass Favre Pantelic dann im Spiel gegen Köln erst auf der Bank ließ, hätte Letzterer vor allem deshalb als diskriminierend ausschlachten können, weil er nach Spielende wegen seines späten, schönen Kopfballtors vom Publikum als Matchwinner gefeiert wurde.

Marco Pantelic zündelte jedoch nicht weiter, sondern zeigte sich als einsichtige Diva: „Ich habe auch Fehler gemacht. Ich reiche dem Trainer die Hand.“ Vielleicht beginnt der Stürmer so langsam aber sicher zu begreifen, dass Hertha in dieser Saison anders funktioniert als zuvor. Nicht mehr er, Pantelic, ist der kleine Unterschied, der oft über Sieg und Niederlage entschied. Hertha funktioniert neuerdings als Kollektiv. JOHANNES KOPP