Verständnis für Unverstandene

betr.: „Ein Bier gegen die Angst“, taz.mag vom 19. 4. 03

Ich lebte vor 20 Jahren in Christiania, verdiente meinen Lebensunterhalt aber nicht durch den Verkauf von Drogen, sondern ich arbeitete in einer Kollektivschreinerei. Ich machte dort wertvolle Erfahrungen, vor allem im sozialen Bereich, neue Zusammenlebensformen wurden erprobt. In der Werkstatt ging es nicht so hart leistungsorientiert zu wie in Deutschland, wir machten viele nette Meetings, teilten unser Essen und unterstützten uns gegenseitig. Es gab damals auch kein Krankenhaus dort, sondern ein Gesundheitshaus, in dem auf Naturheilbasis behandelt wurde.

Klar gab es auch Drogen, ich empfand das oft als ein Ergebnis einer langen Frustserie, Eltern, die einen nicht verstehen, Schule, aus der man rausfliegt und eine Gesellschaft, die keinen Platz für einen hat. Die Drogenpolitik in Kopenhagen wurde auch zum Teil bewusst nach Christiania verlegt: Ich wunderte mich immer, warum es in den Junkiehäusern nie eine Razzia gab, den kleinen Pushern auf der Straße gings aber fast täglich an den Kragen. Ich hoffe und wünsche Christiania, dass der Geist der Freiheit und der Fantasie dort auf irgendeine Art immer weiterleben wird, und dass Unverstandene dort Verständnis und Mut für ein neues Leben finden. THOMAS HOCHREIN, Malsburg-Marzell