Bitte treten Sie nicht auf die Babys!

Kinder, Kunst und Karriere: Das Bremer Paula Modersohn Becker Museum zeigt Bilder und Installationen zum Doublebind-Syndrom

Von Benno Schirrmeister

Sibylle Hofter hat ihre Babys ausgesetzt. Jetzt kauern sie in Krabbelstellung auf dem Parkett des Bremer Paula Modersohn Becker Museums,rund anderthalb Meter vor den Bildern. Genau in Betrachter-Distanz. Zum Beispiel vor diesem: ein fotorealistisches, bläulich-graues Kind, das eine Nudel in der rechten Hand hält oben rechts, viel Weißfläche. Und unten: deftige Schmieren, Blau, Knallgelb und etwas Rot.

Wer das wohl gemalt hat? Also vorsichtig drüber steigen über den Gummi-Säugling: Bettina Semmer heißt die Künstlerin. Aha. Ein assisted painting, Ohne Titel (B. mit Spaghetti) von 1991, Gouache auf… Hoppla, da wär es fast passiert: Wer zurücktretend die kontemplative Ruhe sucht, stößt unversehens wieder aufs Kunstbaby. Das hatte man ja ganz vergessen!

Mit der Ausstellung „Doublebind – Kunst Kinder Karriere“ widmet sich das weltweit älteste Künstlerinnen-Museum ab Sonntag den Nachfolgerinnen der Namensgeberin: Die Karriere der freischaffenden Malerin hat Paula Becker als erste in Deutschland gewagt. Das Kind, bei ihr noch Idealfigur, wird von heutigen Künstlerinnen freilich vieldeutiger aufgefasst.

Mitunter ist es Kollaborateur: Für ihre zwölf Farbstreifen an einer weißen Wand hat Käthe Kruse Schülerinnen und Schüler als Mitarbeiter gewonnen: Das Werk ist eine Art Kalender. Das Pigment wird durch astrologische Zuschreibungen definiert, die Streifenbreite durch die Geburtstage ihrer Helfer. Oft dient das Kind als Gegenstand, manchmal als Inspirationsquelle. Aber immer wieder auch: als Störfaktor. „Wir kennen“, so die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe bei der Präsentation der Schau, „die Erwerbsbrüche von Frauen.“ Es sei wichtig, diese „strukturelle Diskriminierung“ aufzudecken.

In der Tat ist der Karriereknick bei Künstlerinnen besonders deutlich. Emblematisch dafür steht die 1911 geborene Louise Bourgeois: In den 30er Jahren war sie hoch angesehen in den Pariser Kunst-Zirkeln – bis zur Geburt ihrer drei Kinder. Dann Sendepause: Erst seit 1978 findet sie wieder angemessene Beachtung. „Doublebind“ zeigt drei sarkastischen Radierungen von ihr: „Hanging Figure“ etwa, ein Frauentorso an einer Art Fleischerhaken. Schlaff ist der Bauch – wie frisch entbunden.

Sie versuche „keine stringente Linie in dieser Ausstellung zu haben“, bekennt Kuratorin Signe Theil. Ein befremdlicher Ansatz: Die mit 27 Positionen von schwankender Qualität hätte mehr gestalterischen Zugriff vertragen. So verharrt sie auf der Schwelle zwischen Kunstschau und soziologischem Korpus; nicht unattraktiv. Aber auch nicht befriedigend.

Doublebind, Paula Modersohn Becker Museum, Bremen. Eröffnung: Sonntag 11.30 Uhr. Bis 9. Mai. Infos zum umfangreichen Rahmenprogramm unter www.doublebind.de