„Den Phantomschmerz lindern“

Die in Hamburg lebende „doublebind“-Teilnehmerin Mariola Brillowska beglückt Frauen mit „Snupiecult“

Die Basis ihrer Utopie klingt wie ein Konstrukt, das frau kaum glauben mag. Und vielleicht ist die erdrückende naturwissenschaftliche Schlichtheit ihrer Theorie sogar Teil der Performance Mariola Brillowskas, der einzigen an „doublebind“ beteiligten Künstlerin aus Norddeutschland. „Wenn Frauen das zweite X-Chromosom – das Sozialkompetenz-Chromosom – nicht hätten, strebten sie weder nach dauerhaften Bindungen, noch hätschelten sie – oft wider besseres Wissen – derart bedingungslos Alte, Kranke, Männer und Kinder.“

Dieses Chromosom aber verändere alles – und obwohl es de facto kinderlos Glückliche gibt, unterstellt Brillowska Frauen einen Kinderlosen-Phantomschmerz, der auch gesellschaftliche Indikationen habe: „Der Kapitalismus boomt ja zurzeit, Frauen gehen zunehmend in den Arbeitsprozess hinein. Selbstverwirklichung ist oberstes Ziel, da mag man sich das Kinderkriegen nicht mehr leisten.“ Kurz: Brillowskas Utopie namens „Snupiecult“ – ihr Beitrag zur Schau „doublebind“ – spielt in jener Ära, in der Frauen frei entscheiden können, ob sie selbst gebären und in der sie irgendwie über die Sehnsucht nach dem leiblichen Kind hinweggetröstet werden müssen.

Überraschende Thesen der 1961 im polnischen Sopot geborenen Künstlerin, die seit 20 Jahren in Hamburg lebt und bisher eher durch provokative Trickfilme, Animationen, Shows und Performances aufgefallen ist, die die übersexualisierte Gesellschaft entblößen, indem sie sich gezielt pornographischer Mittel bedienen. Den „Club Adorator“ etwa hat Brillowska von 2001 bis 2003 in Hamburg betrieben, eine Mixtur aus Moderation, Performance und Improvisation – chaotisch, aber letztlich immer funktionierend, weil die Brechung zentrales Stilmittel blieb.

16 Jahre alt ist übrigens Brillowskas gelegentlich mit auftretende Tochter Gloria, die die Mutter aus der Kunst aber weitgehend herauslassen will. „Einige Künstlerinnen haben in ihre ,doublebind‘-Arbeiten Bilder ihrer Kinder integriert, aber ich finde, die haben dort nichts zu suchen. Nicht nur, dass zuviel Öffentlichkeit schadet: In meinem Fall wären – aufgrund meines scheinbar pornographischen Angangs – auch Schikanen in der Schule zu befürchten, und das möchte ich nicht“, betont Brillowska. Sie ist überzeugt, „dass die Familie die Ursache für viele Probleme in der Gesellschaft darstellt; Kinder erleben dort oft Schlimmeres als in der Schule. Eine Lösung wären vielleicht Wohngemeinschaf-ten ...“ Und noch bevor man Zweifel formulieren kann, begründet sie schon das Misslingen gewesener Kommunen: „Die Frauen dort haben sich zu stark auf Sex und Beziehungen konzentriert; in Wirklichkeit geht es aber nicht ums Abhängen, sondern darum, keine pädagogischen Fehler zu machen.“ Woran man die erkennen soll, bleibt vage, und dass ihre Tochter dereinst in realen Partnerschaften dem Weibchenverhalten abhold bleibt, kann Mariola Brillowska nur hoffen.

Doch nun also die „Snupiecult-Sekte“, eine Performance, von der in Bremen aus Platzgründen lediglich ein Video gezeigt wird: konkrete Manifestation von Brillowskas Utopie, vielleicht genauso wenig ernst gemeint wie ihre anderen Werke, die sämtlich eine geschmeidige Benutzeroberfläche suggerieren. Denn was hinter Brillowskas Performances und Filmen – „Grabowski, Haus des Lebens“ bekam 1991 den Grand Prix der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen – steht, ist keineswegs so bonbonrosa wie das Dekor. Brillowskas Performances spielen vielmehr mit der eigenen Ernsthaftig- und Glaubwürdigkeit, nutzen Motive medialer Wunschwelten und legen zugleich böse bloß. Und Snupies könnten Frauen doch, so schlägt die Künstlerin jetzt vor, nach Aufhebung der Gebärpflicht an Kindes statt erziehen. Pflegeleicht wären die robotergesteuerten Ersatzmonstren zweifellos: Niemand müsste sich zur kompletten Aufzucht verpflichten, frau könnte die Maschine jederzeit abschalten oder entsorgen. Die Eltern könnten so ihrer Selbstverwirklichung nachgehen und würden für die wegfallende biologische Mutterschaft mit großen Annehmlichkeiten belohnt.

All dies verspricht in fast schmeichlerisch-werbendem Duktus die farbige Broschüre zum „Snupiecult“-Projekt, das – unabhängig von der Chromosomen-Theorie der Schöpferin – ganz andere Facetten offenbart: die einer Gesellschaft egozentrierter Eltern, denen Nachwuchs lästig ist. Kein Gebärstreik also als Motiv für Plastik-Kinder, sondern schlichte Bequemlichkeit. PETRA SCHELLEN