Der Zweikampf der Shellisten

Wulf H. Bernotat ist neuer Chef des größten Energiekonzerns E.ON. Gegen Nachbar RWE muss er den Titel verteidigen

Wenn es am schönsten ist, soll man bekanntlich aufhören. Mehr konnte Ulrich Hartmann sowieso nicht erreichen. Seitdem sich vor drei Jahren die Energiekonzerne Veba und Viag zu E.ON zusammenschlossen, hat Chef Hartmann Firmen für 80 Milliarden Euro zugekauft oder abgestoßen. Und sich seinen Traum erfüllt: den weltgrößten privaten Energiekonzern aufgebaut. Was vielleicht mehr zählt: Er schlug den ärgsten Rivalen um Längen –die Essener RWE. Selbst das letzte Kapitel – die Übernahme der Ruhrgas AG per Ministererlaubnis – hat Hartmann mit Fortune und Rafinesse gemeistert. Genau der richtige Zeitpunkt also, um den Chefsessel zu räumen.

Der neue Chef der Düsseldorfer E.ON heißt Wulf Hinrich Bernotat. Gestern war sein erster Arbeitstag. Ausgerechnet Bernotat. Der promovierte Jurist hat sich nämlich zwanzig Jahre lang bei Shell „hochgearbeitet“. Das gibt dem Revierderby eine besondere Note: RWEs ebenfalls neuer Chef – der Niederländer Harry Roels – ist auch ein „Shellist“. Roels gab zum Amtsantritt vor fast einem Jahr klare Signale aus: RWE war die Nummer 1 – und soll es wieder werden.

Wulf H. Bernotat hatten nur wenige auf der Rechnung, als der E.ON-Aufsichtsrat im vergangenen Jahr die Hartmann-Nachfolge beriet. Immerhin gab er ab 1996 ein zweijähriges Gastspiel bei der Veba, wo er mit Hartmann die Fusion zu E.ON vorbereitete. Ansonsten ist der 54-Jährige aber Quereinsteiger. Zuletzt leitete Bernotat das Dienstleistungsunternehmen Stinnes.

Es ist nicht bekannt, ob Bernotats Charakter entscheidend für seine Wahl waren. Diejenigen, die ihn kennen, beschreiben ihn als offen und unprätentiös. Eigenschaften, die bei deutschen Managern eher selten sind, werden ihm nachgesagt: Er kann zuhören, den Nebenmann akzeptieren, die Mitarbeiter als Mit-Arbeiter respektieren.

Vielleicht war es ja gerade dieser Leumund, der seine Wahl begünstigte: Bei Stinnes führte er den krawattenfreien Freitag ein, er selbst erschien im Rollkragen. Legendär sind die von Bernotat verordneten „Mittagstische“ – regelmäßiges Lunchen mit seinen Mitarbeitern – und zwar auf allen Ebenen. Er wolle „ein ehrliches Feedback der Mannschaft auf das, was wir im Elfenbeinturm entscheiden“.

In jedem Falle dürfte Bernotats Wirken bei Stinnes beeindruckt haben. Als er den Dienstleister 1998 übernahm, fand er einen bunten Gemischtwarenladen vor, bei dem es wirtschaftlich eher grau aussah. Binnen drei Jahren brachte er Struktur in den Laden, verlieh ihm mit drei Kernkompetenzen – Verkehr, Chemievertrieb und Werkstoffhandel – neuen Antrieb. Und zwar in einem solchen Maße, dass Bernotat das beste Ergebnis in der 193-jährigen Firmengeschichte einfuhr.

Vielleicht zählte bei Bernotats Berufung aber auch, dass er bei Shell lange Zeit mit RWE-Chef Harry Roels zusammen gearbeitet hat. Wie Roels war auch Bernotat für Shell in Paris, Lissabon, Moskau und London tätig. Nicht verwunderlich, dass er sich mühelos in sechs Sprachen bewegt.

Nicht bekannt ist, was Bernotat vom Atomausstieg, vom Erneuerbaren-Energien-Gesetz, von Kraft-Wärme-Kopplung oder Windkraft hält. Natürlich ist Skepis beim Energiegiganten E.ON berechtigt. Doch Vorsicht: Man soll dem neuen Chef nicht gleich jeden Wind aus den Segeln nehmen. NICK REIMER