Spannung unterm Apfelbaum

Stundenlang musste er ausharren, um so kleine wie lebendige Kostbarkeiten wie die Zartschrecke oder den Brennesselzünsler in digitaler Technik festzuhalten: Der Künstler Wolfgang Eschenhagen hat Flora und Fauna im Waller Fleet dokumentiert

„Es ist erstaunlich, was die Natur mit der Stadt machen würde, wenn der Mensch nicht eingreift.“ Diese Erkenntnis zu beweisen, ist der Bremer Künstler Wolfgang Eschenhagen ausgezogen – in eine Parzelle im Waller Fleet. Er hat die Natur im Waller Grün dokumentiert – und hat dazu auf dem Grundstück einer einzigen Parzelle etwa 5.000 – in Worten: fünftausend! – Bilder gemacht. Alle Fotos sind mit einer Digitalkamera entstanden: „Dies ist ein Low-budget- und Non-profit-Projekt“, erklärt er, und deswegen besitzt Eschenhagen nun sieben CDs mit Aufnahmen aus dem Kleingarten, die er jederzeit ausdrucken kann.

Mit Mission unterwegs

Ein paar Jahre ist es jetzt her, dass der heute 33-Jährige selbst einen Frühling im Waller Fleet verbracht hat. Dabei hat er gemerkt, wie spannend so ein Mikrokosmos sein kann. „Mich interessiert alles, was unter dem Apfelbaum passiert“ sagt Eschenhagen. Dort hat er dann später Stunden lang regungslos gesessen, seine Dreadlocks weiter wachsen lassen und immer wieder auf den Auslöser der Kamera gedrückt.

Wolfgang Eschenhagen hat eine Mission zu erfüllen: „Ich will weg von Aussagen wie: Oh Gott, der Wald ist tot“, erklärt er. Stattdessen wolle er „die Leute dazu bewegen, genau hinzugucken, damit sie erkennen, wie faszinierend die Natur sein kann.“

Dokumentiert hat Eschenhagen geheimnisvolle Wesen wie den Brennesselzünsler, eine Zartschrecke oder das grüne Heupferd. Vögel sucht man in den 5.000 Aufnahmen vergeblich – „die sind mir einfach zu schnell, und außerdem fehlt mir dazu die entsprechende Kamera“, erklärt der faunafreundliche Fotograf.

Warten auf die Schrecke

Dabei wollte sich die Tierwelt gar nicht unbedingt entdecken lassen. Die Zartschrecke zum Beispiel, ein filigranes Wesen mit heuschreckenhaften Hinterbeinen und feinen langen gepunkteten Fühlern, hat eine Größe von nur eineinhalb Zentimetern. Um sie auf den von ihr höchst geschätzten Himbeerbüschen zu entdecken, hat Eschenhagen Stunden unterm Baum und neben dem Gesträuch verharrt.

Auch Amphibien wie den Teichmolch, der laut der Bundesartenschutzverordnung zu den besonders geschützten Arten zählt, hat Eschenhagen in seinem Kleingarten gefunden.

„Diese einzigartige Naturlandschaft gilt es zu erhalten“, fordert der studierte Designer, der vor zehn Jahren aus Schweinfurt in den Norden kam. Das Waller Fleet fasziniert Eschenhagen. Über Jahrzehnte hinweg seien in einigen Gärten, um die sich niemand gekümmert hat, kleine Biotope entstanden.

Wertvolle Mini-Biotope

In anderen Kleingärten sei die entstandene Artenvielfalt vielfach schon wieder zerstört worden, klagt der Künstler.

In der Kleingartenanlage Waller Fleet stehen die so genannten Kaisen-Häuser, kleine Wohnhäuschen, die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden sind, als die Stadt zerstört und Wohnungen knapp waren. Der damalige Bürgermeister Wilhelm Kaisen hatte den Bremern, die ihr Haus verloren hatten, erlaubt, in die Kleingartenanlagen am Rand von Bremen zu ziehen. Dort hatten die neuen Bewohner das Recht sich niederzulassen und Obst und Gemüse anzubauen. Doch seit zwei Jahren ist Schluss mit der bewohnbaren Idylle. Weil das Waller Fleet ein reines Kleingarten- und Grüngebiet sein soll, wurde das Dauerwohnen auf Parzelle verboten – nur diejenigen der paar hundert Waller Parzellieros, die hier schon vor dem Stichjahr 1974 leben, dürfen bleiben bis an ihr Ende. Alle anderen müssen gehen. Ihre Häuser werden abgerissen.

Auch wenn das Kleingartengebiet auf diese Weise wieder ursprünglich werden soll, werde mit dem Abriss und den Eingriffen gewachsene Natur zerstört, argumentiert Eschenhagen: „Dadurch wird stark in die Natur eingegriffen, die auch an den Wänden eines mit Efeu bewachsenen Hauses lebt.“

Ein Stück Kultur

Eschenhagen geht es nicht um die Parzellenbewohner. Ob die Häuser bewohnt sind oder nicht, interessiert ihn wenig. Aber der Erhalt des Gebietes an sich, auch mit den alten Kaisen-Häuschen, sei wichtig, findet er. Es geht Eschenhagen um ein Stück Kultur. Gartenkultur. „Gärten sind eine wesentliche Leistung menschlichen Kultur- und Kunstschaffens“, zitiert er in seinem kleinen und liebevoll gestalteten Ausstellungskatalog den rheinischen Denkmalpfleger Ulrich Stevens, „die Erhaltung ist eine wichtige Aufgabe, die in besonderem Maße dazu beitragen kann, Lebensqualität für alle zu bewahren.“ Genau das, fürchtet Eschenhagen, werde durch die schweren Maschinen, die das Waller Fleet „bereinigen“ sollen, gefährdet.

Seine 5.000 Bilder stammen aus den vergangenen beiden Jahren. In drei Abschnitten präsentiert Eschenhagen seine Arbeit der Öffentlichkeit – inzwischen läuft der dritte Teil. Im Forum Kirche in der Hollerallee ist noch bis zum 12. März eine Auswahl von Farbfotografien zu sehen – Nahaufnahmen von Insekten, aber auch vom Bagger, der ein Haus einreißt. Mit dabei auch ein Blick über die Weite der Parzellenlandschaft am Waller Fleet mit ihren vielen Satellitenschüsseln, die zwischen Rosenbüschen und Stromleitungen in den Himmel ragen.

Spinne fängt Fliege

Auch das Gefressenwerden in der Tierwelt wird hier zur Kunst: Vier kleine Drucke hat Eschenhagen angefertigt, auf denen seine „Nachbarin“, eine kleine Spinne, eine Fliege fängt, diese einwebt und anschließend aussaugt.

Ein weiterer Teil der Ausstellung besteht aus Schwarz-Weiß-Fotos, die gemeinsam mit Thomas Falk entstanden sind. Eschenhagen und Falk haben Pflanzen getrocknet und diese vor einem weißen Hintergrund drapiert, fotografiert und anschließend vergrößert. Eschenhagens Philosophie dazu: „In jeder dieser trockenen toten Pflanzen steckt in den Samen noch mehrmals die gesamte Pflanze.“

Der liebevoll und sichtlich selbstgemachte Katalog zur Ausstellung zeigt Eschenhagens winzige Wunder der Natur in silbrig-schwarzer Zauberhaftigkeit, dazu hat der Künstler sparsam, aber passend Zitate über Gartenkunst und ihren Wert gestellt.

Benni Kuhlmann

Die Ausstellung „Flora und Fauna in den Gärten der bremischen Kaisenhäuser“ läuft noch bis zum 12. März täglich von 9 bis 14 Uhr im Forum Kirche, Hollerallee 75. Mehr Infos unter www.projektwolfgangeschenhagen.de