berliner szenen Duell am Kollwitzplatz

Könige des Augenblicks

Der Blick schweift übers Gemüse. Wochenmarkt am Kollwitzplatz. Eine Stimme: „Ey, ich hau dir ein’ aufs Maul.“ Meint da jemand mich? Rumms, baumlanger Fall, Blutlache auf den Trottoir. Rosenkohl rollt in alle Richtungen. Anschwellender Sirenengesang. Gewalt kenne ich nur aus dem Fernsehen. Verlegener Blickwechsel mit der Demeter-Frau. In solchen Momenten weiß man: Das eigene Dasein ist eine Provokation an sich. Der Passant von trauriger Gestalt mit in der Hand bekniffener Gemüsetüte. Abbrechen? Übergehen? Wiederholen? „Ey, aber echt jetzt.“ Also noch Zeit zum Nachdenken.

Er, das ist ein schon leicht gedunsener Post-Punk, hörbar nicht Berlin, Säufer aus der Senefelder. Mit Hund. Neue Bundesländer. Sich seine Einschüchterung nicht anmerken lassen.

Nicht vor der interessierten Brotfrau. Brust raus, Bauch rein, Stresshormone zurück, damit bloß die Töle nicht aggressiv wird. Viecher riechen Angst. Der Hund kratzt sich entspannt am Ohr. Ganz lieber Schäferhund. Alte Regel. Gesicht zeigen. „Brauchst gar nicht so doof kucken.“ Aha, brauch ich also nicht. Sicher alles nur ein Missverständnis. Wir weichen einer Kinderkarre aus. Junge, dein Gesicht möchte ich sehen, wenn dir kleinem Sozialverlierer demnächst die Einlieferung ins Job-Aktiv-Center blüht. Oder mir. Nach erfolgreicher Qualifizierung zum Diplom-Herbstlaubfeger kannst du dann dein Mütchen kühlen. Mit der Harke beim Fegen. Beim Steineklopfen. Beim Auskoffern.

Oder mir doch besser gleich eins in die Fresse haun? Du kannst gar nicht so viel schlagen, wie du leiden wirst. „Also, ich geh jetzt mal da vorne hin ein’ saufen.“ Vorbei. Besser so. Mit kumpelhafter Verschwörermiene nickt man sich zu. Heute mal ein König. JAN-HENDRIK WULF