Schöneberger Tristesse

Die Elite der deutschen Karatekämpfer traf sich in Berlin vor wenigen Dutzend Zuschauern. Der Sportart mangelt es weniger an der Klasse der Athleten als an öffentlicher Aufmerksamkeit

AUS BERLIN TORSTEN HASELBAUER

Der Budoka-Sportpalast in Tokio ist schon wieder ganz weit weg. Dabei sind gerade erst zwei Wochen vergangen, als dort Maria Weiß vor 14.000 ausgelassenen Fans Karate-Mannschaftsweltmeisterin wurde. Es war das erste Mal in der langen Geschichte dieser Sportart überhaupt, dass eine deutsche Mannschaft diesen Titel gewinnen konnte. Als Maria Weiß schließlich in ihr fränkisches Dorf Hersbruck heimkehrte, war der WM-Sieg selbst der Lokalzeitung gerade eine Fünf-Zeilen-Meldung wert. „Spätestens da wusste ich, dass ich wieder daheim bin“, so die Weltmeisterin.

Auch in der tristen Turnhalle von Berlin-Schöneberg erinnerte am Samstag nichts mehr an die jüngsten Tokio-Erfolge der deutschen Karatekämpferinnen. In Berlin wurden die Deutschen Karate-Meisterschaften der Länder ausgetragen. Das ist einer Art Nachfolger der Karate-Bundesliga, die vor ein paar Jahren eingestellt wurde. „Wegen der hohen Reisekosten für die Vereine“, wie der Präsident des Deutschen Karate Verbands (DKV), Roland Hantzsche, in Berlin erklärt. Sicher, es gäbe schon neue Pläne für eine Bundesliga, betont der 66-jährige Funktionär. Doch wann das geschehen soll, weiß er selbst noch nicht so genau.

Vielleicht zwanzig Eintrittskarten hat die freundliche junge Dame an dem Tisch neben der Turnhallen-Eingangstür an diesem Samstagnachmittag verkauft. Von draußen zieht der kalte Dezemberwind hinein. Die meisten der gut fünfzig Zuschauer, die auf der Tribüne Platz genommen haben, sind Athleten, Trainer, Kampfrichter oder deren engsten Freunde. Ein paar Holztische im Vorraum der Halle sind gut bestückt mit allem, was ein Karatekämpfer so braucht. Gürtel in den verschiedensten Farben, Schutzhandschuhe, T-Shirts und Bücher über fernöstliche Kampftechniken liegen als Insiderware gut sortiert auf den Tischen und Bänken. Immerhin, die Geschäfte laufen nicht schlecht, wie eine Verkäuferin anmerkt. Es gibt auch lecker Kuchen“, ruft ab und an jemand ins Mikrofon. Über den spärlich gefüllten Sitzplatztribünen hängen Fahnen mit japanischen Schriftzeichen. Was darauf steht, weiß indes keiner so recht. „Harmonie vielleicht“, sagt eine Kämpferin und zuckt mit den breiten Schultern. Festlegen möchte sie sich lieber nicht. Japan und die volle Budoka-Halle, das war einmal.

„Karate ist die erfolgreichste nichtolympische Disziplin, die wir in Deutschland haben“, erklärt fast trotzig der DKV-Präsident Hantzsche. Wenn er sich in der Berliner Halle so umschaut, mag man das nicht für möglich halten. Die deutschen Damen stellen in der Mannschaft die aktuellen Weltmeisterinnen, der Juniorenweltmeister kommt ebenfalls aus Deutschland und in der Weltrangliste sind die Deutschen Karatekämpfer seit der WM in Japan immerhin schon auf Rang fünf geklettert. „Nur merkt das keiner. Zumindest nicht im eigenen Land“, erklärt die Weltmeisterin Maria Weiß aus Hersbruck fast abgeklärt. Vielleicht gerade deswegen, weil es nie anders war, beklagt man sich auch nicht.

Karate wird von immerhin 150.000 Menschen in Deutschland betrieben. Es gibt über 2.300 Vereine, die diese schlagende, aber defensiv ausgerichtete Sportart ausüben. In Bayern und Baden-Württemberg ist Karate sogar als Schulsport anerkannt. „Einzig das qualifizierte Personal fehlt“, klagt der DKV-Präsident Hantzsche. „Unsere Sportart verbindet Kraft, Athletik, Disziplin und vermittelt viel Selbstsicherheit. Es gibt eine Menge Gründe, mit Karate anzufangen, egal wie alt man ist“, bricht die Weltmeisterin Weiß eine Lanze für ihre Sportart.

Es wird sich viel verbeugt bei der aus Japan stammenden Sportart. Die Achtung vor dem Gegner ist eine Basis. Man möchte niemanden ernsthaft verletzen. Schläge werden zumeist nur angedeutet, der Gegner allenfalls touchiert. Wer voll trifft, bekommt einen Minuspunkt. Respekt ist ein Wort, das im wertekonservativen Karatesport oft benutzt wird – zumindest im Breitensport. „Eine Nase, eine Rippe und der kleine Zeh“, zählt Mannschaftsweltmeisterin Sylvia Sperner auf, was in ihrer Karriere als Leistungssportlerin so alles in die Brüche gegangen ist. Das ist die andere Welt der Karatekämpfer. „Wir müssen endlich aus der Nische rauskommen“, sagt die 23-jährige Weltmeisterin Sperner, die als Polizistin in Wiesbaden ihren Dienst ausübt.

Im September 2009 entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf seinem Kongress in Kopenhagen über die Neuaufnahme von zwei neuen Sportarten für die Olympischen Spiele der Zukunft. Sieben haben sich beworben. „Wir sind optimistisch, dass wir eine von den zwei Disziplinen sind, die ausgewählt werden“, erhofft sich DKV-Präsident Hantzsche. Und dann soll alles besser werden, in Berlin und anderswo.