Wer soll sich das alles ansehen?

Der vierte Hamburger Architektursommer, der heute eröffnet wird, sprengt mit 192 Veranstaltungen den bisherigen Rahmen. Eine gute Gelegenheit, sich auf den Stand der Debatte zu bringen, die Stadt mit anderen Augen zu sehen und mitzudiskutieren

von GERNOT KNÖDLER

Hamburg ist eine schöne Stadt. Vielleicht diskutieren ihre Bürger deshalb so leidenschaftlich über ihre Architektur. Als der Masterplan zur Hafencity vorgestellt wurde, fasste die geräumige Gruner&Jahr-Kantine nicht die Massen der Interessierten. Die Mopo startete eine Leserbefragung zur künftigen Alster-Fassade der im Bau befindlichen Europa-Passage und Jeff Koons Entwurf für den Spielbudenplatz füllte im Abendblatt eine Seite mit Leserbriefen. Wenn eine Stadt einen Veranstaltungsmarathon wie den diesjährigen Hamburger Architektursommer durchhält, dann diese.

Mindestens 200.000 Menschen hätten die 50 Veranstaltungen des Architektursommers vor drei Jahren besucht, sagt Ullrich Schwarz von der Initiative, die den Architektursommer organisiert hat. Ob bei 192 Veranstaltungen, die für diesen Sommer angekündigt sind, nicht zwangsläufig einige ohne Beachtung bleiben müssen, wird sich zeigen. Dem, der sich die Zeit nehmen kann, bietet sich eine einzigartige Chance, die „Wege der Moderne“ abzuschreiten – so der Titel des Architektursommers – und dabei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht nur der eigenen Stadt kennen zu lernen.

Den Überblick erleichtert ein nahe liegender inhaltlicher Schwerpunkt: die „HafenStadt“. Um eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas zu würdigen, ist die ständige Ausstellung im Kesselhaus über die Hafencity aufgenommen worden. Sie soll zum Sommer hin ergänzt werden, um das Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs zum geplanten Überseequartier westlich des Magdeburger Hafens.

Hamburgs gescheiterte Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 und der Zuschlag für die Bundesgartenschau 2013 haben neben der Hafencity den „Sprung über die Elbe“ ins Bewusstsein rücken lassen: die Nutzung von Hafenflächen, um die Innenstadt mit Wilhelmsburg und Harburg zu verbinden. Die Baubehörde veranstaltet dazu Ende Juli ein Bauforum. Eine Woche lang sollen sich 100 Architekten und Planer in den 50er Schuppen auf dem Kleinen Grasbrook überlegen, wie diese Aufgabe bewältigt werden könnte. Das Ergebnis soll breit diskutiert werden.

Der Traum von der Stadt am Meer

Diverse Touren führen auf das Gebiet der Hafencity und zur Perlenkette aus neuen Bürobauten am Altonaer Elbstrand aber auch in die Geschichte des Hafens. In der Ausstellung über den Traum von der Stadt am Meer im Museum für Hamburgische Geschichte, deren Beginn auf den 19. September verschoben worden ist, werden Beispiele für die Revitalisierung von Hafenflächen gezeigt. Sie präsentiert Mythen wie die untergegangene Hafenstadt Vineta und geplante Träume wie St. Petersburg. Die verschwindende Hafenlandschaft dokumentieren Ausstellungen wie „10 hoch 6“, das Ergebnis eines Langzeitprojekts, in dem Studierende der Hochschule für bildende Künste HfbK den topographischen Wandel des Geländes der künftigen Hafencity fotografierten.

Verschiedene Ausstellungen widmen sich großen Architekten, die in Hamburg gewirkt haben: Eine große Schau in den Deichtorhallen zeigt das Oevre Arne Jacobsens, dem Architekten des HEW-Scheibenhochhauses in der City-Nord, der im vergangenen Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Neben seinen architektonischen Arbeiten sind von ihm designte Gläser, Stoffe und Möbel zu sehen. Die Ausstellung wird im Rahmen des Kinderprogramms begleitet von Design-Workshops, in denen die Kinder nachvollziehen sollen, wie aus Tierformen Möbel werden.

Werner Kallmorgen, der mit dem Kaispeicher A und dem Spiegel-Hochhaus das Gesicht Hamburgs in den 60er Jahren prägte, ist eine Ausstellung im Ernst-Barlach-Haus gewidmet. Skizzen, Modelle und Schriften sollen das Wirken des Altonaer Architekten in Hamburg erstmals umfassend würdigen. Wie zu anderen Ausstellungen gibt es Begleitveranstaltungen, unter anderem eine Soirée bei der Zeitzeugen und Weggefährten zu Wort kommen.

Dem ein Jahr jüngeren Bernhard Hermkes (Grindel-Hochhäuser, Großmarkthallen, Audimax) widmet die Freie Akademie der Künste eine Ausstellung zum hundertsten Geburtstag. Eine „andere Moderne“ mit Werken von Fritz Högers (Chilehaus) zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe, die aktuelle Moderne die Freie Akademie der Künste: „Architektur made in Hamburg“ – eine von dem Architekturkritiker Dirk Meyhöfer entworfene Ausstellung der Werke wichtiger Hamburger Architekten der vergangenen Jahre. 30 ausgewählte Projekte werden mit Zeichnungen und Modellen als Stadtlandschaft präsentiert, die der Besucher mit Hilfe eines Kameraroboters durchwandern kann.

Planen und Bauen in der Demokratie

Die Freie Akademie der Künste zeigt in „25 Jahre Planen und Bauen in der Demokratie“, wie sich gesellschaftliche Veränderungen seit 1976 in den Arbeiten ihrer Mitglieder niedergeschlagen haben. Ein gutes Beispiel dafür geben auch die Ausstellung „Bauen für die Gesundheit“ mit Unterstützung des Landesbetriebs Krankenhäuser und die Verleihung des Architekturpreises 2003 der Initiative Arbeit und Klimaschutz.

Dasselbe gilt für die Ausstellung „10 x Leben“, in der die Baubehörde „gebaute Plädoyers für das Leben in der Großstadt“ präsentieren will – Entwürfe, die demnächst in Hamburg Realität werden sollen. Bezogen auf das Leitbild der wachsenden Stadt lässt das Architektur-Centrum diskutieren, was mit den in den 40er und 50er Jahren errichteten Wohnungen werden soll. Die Steg diskutiert das Thema unter der Frage „Paradigmenwechsel in der Stadterneuerung?“, und die TU Harburg will klären lassen, was daran Vision, Leitbild oder Wunschdenken ist.

Doch der Architektursommer beschränkt sich nicht auf Hamburg: Eine Ausstellung dokumentiert das „Planwerk Cluj Napoca“. Stadtplaner der HfbK und der UT Cluj Napoca erarbeiten seit einigen Jahren Entwicklungspläne für die rumänische Stadt. Dagegen stehen die Pläne des Hamburger Büros Gerkan, Marg und Partner (GMP) für China. Im Mittelpunkt steht ein Reißbrett-Entwurf für eine Hafenstadt mit 300.000 Einwohnern, die bei Schanghai aus der Erde gestampft werden soll.

Der Salon Blauraum zeigt Fotos von Kabul als moderne Ruine und das Künstlerhaus in Bergedorf Kurzvideos und Tagebücher, die sich anhand eines Bauvorhabens für Frauen in Vushtri mit den Vergewaltigungen während des Krieges im Kosovo auseinander setzen. In den Pavillons der ehemaligen Fachhochschule an der Elbchaussee untersucht die Künstlerin Tamara Bondi Grenzbereiche der sinnlichen Raumwahrnehmung. Ihr „Biophotonenresonanzraum“ soll das erfahrbar machen, was jenseits unserer alltäglichen Sinnesrezeption liegt.

Zum Mitmachen fordern die Galerie 5300 International und die Bauhaus-Uni Weimar auf: Sie werden an wechselnden Orten Architektur-Module aufstellen und deren Wechselwirkungen erforschen. Einen schönen Abschluss des Sommers hätte der Turmcrash der HfbK bilden können. Die Studenten bauen meterhohe Türme aus Pappe, die bei einem Happening durch Belastung mit Sandsäcken zerstört werden. Leider schon im Juli.