Nachbarn: Klo weggesprengt

Menschenwürdig Wohnen? Auch hierzulande noch längst keine Selbstverständlichkeit, weiß die Bremer Diakonie. Sozialexpertin hilft Betroffenen beim Ämter-Stress

epd ■ Der Silvesterabend wird dem 40-jährigen Bremer Familienvater wohl ewig in Erinnerung bleiben. Zusammen mit Frau und Kind will er das neue Jahr begrüßen, als ein ohrenbetäubender Knall den Frieden beendet. Der Nachbar von oben hat mit einem Böller die Kloschüssel gesprengt. Die Folge ist ein immenser Schaden. Das Wasser läuft die Wände herunter. In der Wohnung werden Tapeten, Teppiche und Möbel durchnässt und massiv beschädigt.

Schimmel befällt die Wohnung. Die Matratzen sind klumpig und stinken. Die Bitte des Vaters und Sozialhilfeempfängers um wirtschaftliche Hilfe für eine Renovierung bleibt erfolglos. Die Behörde sagt, sie sei nicht zuständig, der Verursacher müsse haften. Aber auch der lebt von Sozialhilfe. Und das Amt lehnt eine Unterstützung mit der Begründung ab, der Schaden sei leichtsinnig verursacht worden.

„Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagt Angela Hesse, Sozialexpertin beim Diakonischen Werk in Bremen. Nach ihren Erfahrungen wäre es selbst dann unklar, ob das Sozialzentrum neue Bettwaren und Teppiche bezahlen würde, wenn die Kleinfamilie eine neue bezahlbare Wohnung findet. In solchen Fällen versucht Hesse, einen schriftlichen Bescheid zu erwirken, gegen den ein Widerspruch möglich ist. Oft ist aber nicht einmal der Sachbearbeiter telefonisch zu erreichen.

Nicht viel besser ergeht es einem etwa 35-jährigen Erwerbslosen, der seit vier Jahren wegen Schulden von mehr als 800 Euro beim Energieversorger ohne Strom leben muss. Eine warme Dusche oder einen heißen Tee gibt es seither für ihn in seiner Wohnung nicht mehr. Das Unternehmen würde zwar Ratenzahlung akzeptieren, den Strom aber erst wieder anstellen, wenn der Rückstand komplett bezahlt ist. Der psychisch labile Mann hat das Sozialamt gebeten, die Summe zu übernehmen. Vergeblich. Nach den Minusgraden der vergangenen Monate diagnostiziert der Arzt starken Husten und Frostbeulen an den Händen.

„Viele Menschen, die zu mir in die Beratung kommen, haben zwar eine Wohnung, leben aber in unzumutbaren Verhältnissen“, berichtet Angela Hesse. Die Ratsuchenden könnten ja klagen, bekommt sie oft zu hören. Nur: Für Prozesse fehlt den Betroffenen das Geld. „Das Allerdringlichste in solchen Fällen ist eine koordinierte Unterstützung verschiedener Behörden. Aber die gibt es oft nicht, weil die Ämter völlig überlastet sind.“

Die Ratsuchenden haben in der Regel wenig Routine im Umgang mit Behörden. Sie verstehen einfachstes Verwaltungshandeln nicht und agieren deshalb manchmal auch unglücklich. Nicht selten kommen sie in die Sozialberatung, wenn es schon zu spät ist. Dann vermittelt die Diakonie. „Die Betroffenen sind oft eine Unzahl von Wegen gegangen“, sagt Angela Hesse. „Manche bleiben auf der Strecke und verlieren den Mut.“

Dieter Sell