Momentmale im Mai

Designmai heißt das neue Event, das Berlin international als Designstandort profilieren soll.120 Projekte beteiligen sich daran – von der Obdachlosenzeitschrift „Motz“ bis DaimlerChrysler

von WALTRAUD SCHWAB

„Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“, hat Ernst Reuter gesagt. In der internationalen Designszene aber braucht niemand daran erinnnert zu werden, dass er seinen Blick doch auf diesen Ort richten möge. Von London, Paris, Barcelona, Tokio, Warschau, Mailand oder New York aus sei Berlin im Fokus. Was DesignerInnen hier entwickeln, strahle international aus. Nur die HauptstädterInnen selbst wollen das nicht merken. So zumindest das Credo der sieben VeranstalterInnen des erstmals stattfindenden Festivals „Designmai“.

Vor zwei Jahren hat sich eine Hand voll Leute zusammengefunden. Design sollte endlich aus seiner Berliner Dornröschenschlaf geweckt werden. Gedacht wurde an ein Festival in großem Rahmen. Weil der Hauptstadtkulturfonds jedoch die finanzielle Unterstützung ablehnte, wie Oliver Vogt, einer der Initiatoren berichtet, besann sich die Gruppe auf das, woraus Berlin ohnehin sein Lebenselexier schöpft: die Initiative von unten.

Mit grandioser Resonanz. 120 Entwerferteams oder Einzelkämpfer beteiligen sich nun am Festival. Sie warten mit 50 Vernissagen, 81 laufenden Ausstellungen, 20 Partys, mehreren Dutzend Special Events, Workshops und Konferenzen auf. Das Festival entwickelte sich zum Erfolg, bevor es überhaupt begonnen hatte. Es kommt leichtfüßig daher, trotz schwerer Geburt. Den Initiatoren, die sich in dem Non-Profit-Verein „Transform Berlin“ organisieren, fiel die Aufgabe zu, alles in eine überschaubare Form zu bringen und dafür zu sorgen, dass die PR stimmt.

Eine Auswahl, die das kreative Schaffen der Berliner zeigt, ist im Vitra Design Museum in Prenzlauer Berg ausgestellt. Optimierung von Energie, Perspektivwechsel, Erweiterung von Sichtmöglichkeiten zeichnen die vorgestellten Entwürfe aus. Da ist der Springschuh der Gruppe „Wunschforscher“. Wer mit dieser neuen Entwicklung unterwegs ist, dürfte sich wie ein Känguruh durch die Welt bewegen: schnell, leicht, dynamisch. Der von der gleichen Gruppe entwickelte Schreibtisch wird die Bürowelt ebenso revolutionieren. Damit besser nachgedacht werden kann, ist der Stuhl auf den Tisch montiert. Sind die Ideen gekommen, können die Denkenden eine Rutsche hinuntergleiten, um die Arbeitsposition am Tisch einzunehmen. Die Rutsche wiederum ist ergonomisch und multifunktional, da sie gleichzeitig Liegestuhl ist.

Das Label „e 27“ wartet mit einer Rollprothese auf. Hier geht es nicht mehr darum, die Behinderung von Beinamptuierten zu kaschieren, sondern ihnen mit dem an einen Rollschuh erinnernden Hilfsmittel die Dynamik zurück zu geben. Wassertaxen, Einbauhäuser, faltbare Möbel – bei allen Entwürfen wird das Raumkonzept erweitert. Die Gruppe „realities united“ trägt in dieser Hinsicht ein paar extra Aha-Effekte bei. So stellt sie einen Teleskopliegestuhl vor, der aus dem Fenster hinausgefahren werden kann und zum Balkonersatz mutiert. Außerdem schlagen sie vor, dass der ungenutzte südliche Spreearm entlang der Museumsinsel zum Flussbad umgestaltet werden soll. Mit Schilfkläranlage, Sandfilterbecken, zwei Wehren und Umkleidekabinen sei das zu machen.

Die Ausstellung im Vitra Design Museum ist der notwendige erste Anlaufpunkt. Dort liegen Programme, Pläne und Hintergrundmaterial für die wirklichen Events aus, die sich über die ganze Stadt verteilen. Alles ist dabei: Von der Präsentation von Badezimmerarmaturen und stapelbarem Geschirr bis zum Redesign der Berliner Fahne und der deutschen Grammatik. Dazu wird ein weiter Bogen gespannt. Er verknüpft das konkret Virtuelle, das überhaupt erst mit den neuen computergesteuerten Techniken hergestellt werden kann, mit dem virtuell Konkreten wie den unbeachteten Stadtansichten. „Momentmale in Berlin“ heißen sie. In Zusammenarbeit mit den Obdachlosen der Motz hat das „projektbüroberlin“ sie gefunden.