montagskolumne: meinhard rohr zur lage der nation im spiegel seines wissens
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Bis 1968, als auch ich leider noch zu den Linken gehörte, war unsere Wahrnehmung auf die fünf Sinne beschränkt: Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken und Sehen. Doch dann entdeckten wir eine neue Wahrnehmung. Die Wirklichkeit erschien uns verzerrt, und die gesellschaftlichen Prozesse brachen sich im Spiegel der Ästhetik. Von nun an konnte sich die Wahrnehmung auch an Vorhänge, Friedhöfe und Fuhrwerke heften. Was schon damals fundamental abwich von der Position der Gewerkschaften, die längst nicht mehr alleinige Vertreter der Arbeiter, Bauern und Intellektuellen waren. Heute aber darf ein Kanzler sich nicht ins Boxhorn jagen lassen von Gewerkschaften, die damit drohen, dass alle Räder stillstehen, wenn starke Arme es nur wollen. In unserer Gesellschaft der sozialen Rundumversorgung gibt es überhaupt keine Armen mehr, und die Armen wollen sowieso nichts. Ein Staat jedenfalls muss wissen, ob er die Pleite, Insolvenz oder Rettung will. Mit oder ohne Gewerkschaften.

Diese Kolumne erscheint in loser, aber leider häufiger Folge.