Der Mythos vom wehrlosen Sport

Die Doku „Stürmen für Deutschland“ (ARD, 21.45 Uhr) erzählt die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis zum Wunder von Bern – und strotzt leider vor Fehlern, verklärt die Rolle der Sportverbände und kommt ohne das Wort Antisemitismus aus

von ERIK EGGERS

Das „Buch zur Sendung im Ersten“ ließ bereits Schlimmes erahnen. In „Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954“, das die heutige Ausstrahlung der gleichnamigen TV-Dokumentation begleitet, beweisen die beiden Autoren Dirk Bitzer und Frank Wilting nämlich hinlänglich ihre Unfähigkeit, die in Augenschein genommene Ära seriös aufzuarbeiten.

Es strotzt nicht nur von unfassbaren Fehlern, dieses soeben im Campus-Verlag erschienene Buch, es plagiiert auch noch in einigen Abschnitten ganz unverfroren einige Standardwerke zur Fußballgeschichte – etwa „Stürmer für Hitler“ aus dem Jahre 1999. Und so geraten auch die bewegten Bilder, die den historischen Bogen spannen sollen vom Fußball im „Dritten Reich“ hin zum Triumph von Bern, zu einem Dokument des Scheiterns.

Die ganze Schlampigkeit der Recherche belegt schon der Einstieg. Man hört einen Ausschnitt jener chauvinistischen Rede, mit der Peco Bauwens, damals Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), im Münchner Löwenbräukeller derart unangenehm auffiel, dass sich der Bayrische Rundfunk gezwungen sah, seine Live-Übertragung im Radio abzubrechen. Der Film datiert diese Rede auf den 5. Juli, einen Tag nach dem WM-Finale. Doch da logierten die „Helden von Bern“ noch in Lindau am Bodensee, in München trafen sie erst einen Tag später ein.

Derartige Mängel sind Legion in diesen 45 Minuten. „Ab sofort verbietet Goebbels Länderspiele“, kommentiert der Film die 2:3-Heimniederlage Deutschlands im September 1942 gegen Schweden, die in der Tat dem NS-Propagandachef sehr ungelegen kam. Zu einem Verbot indes kam es nicht, wie ein Blick in die Statistik zeigt: Danach spielte die Nationalelf noch in der Schweiz, gegen Kroatien und in der Slowakei.

Mögen Fehler dieser Größenordnung vielleicht noch verzeihlich sein, andere Details sind inakzeptabel. Für den Mai 1933 beispielsweise konstatiert der Film: „Der deutsche Sport wird gleichgeschaltet“, was so viel heißt wie: Der Sport war wehrlos gegen die Wucht der braunen Revolution. Damit wird in jeder Hinsicht ein Mythos erzählt, eine gefälschte Darstellung, deren sich die damaligen Funktionäre des bürgerlichen Sports, die nach 1945 oft wieder in alte Ämter kamen, gerb bedienten. In Wirklichkeit kam es nach der Machtergreifung zu einem Wettlauf der Sportverbände um die Gunst der Nationalsozialisten, die zunächst über kein fertiges Sportkonzept verfügten. Nicht nur in diesem Fall tradiert der Film längst entzaubert geglaubte Mythen.

Hallo? Redaktion?

Überdies folgt der gesamte Film keiner Idee; die Bilder scheinen eilig und völlig gedankenlos zusammengeschnitten, und auch die Suche nach neuem Filmmaterial wirkt unambitioniert. Vor allem jedoch gibt die thematische Gewichtung veritable Rätsel auf. Wie kann es sein, dass der ehemalige Nationalspieler Albert Sing zwei Minuten lang fabuliert, wie er 1953 das Quartier der Herberger-Elf in Spiez organisierte, und gleichzeitig fällt das Wort Antisemitismus in dieser Dokumentation kein einziges Mal? Warum wird der wichtigste, weil von den Nationalsozialisten ideologisch vereinnahmte deutsche Klub der NS-Zeit, der FC Schalke 04, in 16 Sekunden zur Fußnote degradiert? Für solche Fragen ist normalerweise die Redaktion zuständig. Aber vielleicht gab es ja gar keine.