Keine Meisterwerke

Statt großer Linien endlose Schraffuren: Johann Gottfried Schadows römische Grafiken im Jenisch Haus

In der Zeit von Klassik und Romantik wurde Italien zum wichtigsten Bildungsreiseland. Vor allem die Kopie der Überreste der Antike durch Zeichnungen, Aquarelle und Ölgemälde war tägliche Aufgabe der reisenden Künstler, die oft mit Hilfe eines Stipendiums ihres Landesherren die Fahrt gen Süden antraten. Im Fall Johann Gottfried Schadows war die Fahrt in den Süden offenbar eher kurzfristig anberaumt. „Fluchtartig“ soll er mit seiner späteren Frau 1785 Berlin verlassen haben. Über Venedig und Florenz erreichte Schadow Rom, wo er sich dem Studium der Antike widmete. Unermüdlich zeichnete er in den öffentlichen Sammlungen nach Gemälden und antiken Skulpturen, doch auch den römischen Alltag und Porträts seiner Familie.

Jetzt zeigt das Hamburger Jenisch Haus das Ergebnis dieser „Römischen Cahiers“, wie Schadow seine Zeichenhefte nannte. Es ist den Ausstellungsmachern der „Stiftung Archiv der Akademie der Künste“ im „Casa di Goethe“ in Rom zu verdanken, dass die römische Zeit des Bildhauers nun zum ersten Mal in einer Ausstellung zusammengefasst wurde. Eine Zeit, die von Kennern als wichtige Station der Kunst Schadows gewertet wird – als Lehrjahre des Meisters, der, zurück in Berlin, repräsentative Bildhaueraufgaben des Klassizismus zu lösen hatte – etwa die Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Schon 1788 wurde Schadow Leiter der Berliner Bildhauerwerkstatt, 1805 Vizedirektor und 1815 Direktor der Berliner Akademie der Künste. Doch wer glaubt, Schadow hätte sich unter südlicher Sonne den Freuden freier Zeichenkunst hingegeben, der irrt. Beim Rundgang wird schnell deutlich, dass Schadow als Zeichner in seinen drei römischen Jahren 1785 bis 1787 eher Fleißarbeiter denn Genie und Freigeist war.

Etwa 100 Zeichnungen sind im Jenisch Haus zu sehen, die meisten gezeichnet nach antiken Vorbildern im Kapitolinischen Museum und in den Vatikanischen Museen. Es sind oft nicht die Jahrhundertwerke der Kunstgeschichte wie der Apoll von Belvedere oder der Laokoon, die Schadow faszinierten. Voller Ehrgeiz zeichnete er stehende und sitzende Figuren, die Falten ihrer Kostüme, wie die Kuratoren meinen, „mit kräftigem, sicherem Strich“. Bei den meisten Blättern ist jedoch das Gegenteil der Fall – und so verwundert es, dass die Kunstgeschichte immer wieder auf die besondere Brillanz der Schadow‘schen Zeichnungen hingewiesen hat. Denn gerade die Bleistiftzeichnungen bleiben unentschieden: Nicht die Sicherheit des Strichs charakterisiert sie, sondern die Suche nach dem eigenen Zeichenstil. „Schadow in Rom“ ist damit letztlich kaum zu fassen: Sein Stil ist unbestimmt, Unsicherheiten in Proportion und Perspektive sind häufig.

„Ein Zeichenbuch hatte er stets bei sich und wurde so geübt, dass er sitzend und allerorten stehend darin zeichnen konnte“, berichtet Schadow in seiner Autobiographie. Seine Zeichnungen sind selten Meisterwerke, doch hatten sie auch kaum die Aufgabe, allein als grafische Arbeiten zu glänzen. Sie waren vor allem ein Fundus, der dem Bildhauer später als Anregung und Vorlage dienen sollte.

Marc Peschke

Di–So 11–18 Uhr, Jenisch Haus, Baron-Voght-Straße 50; bis 18.4.