Unter der Lupe

Heute startet der Untersuchungs-Ausschuss zur Tempodrom-Affäre. Es geht um 30 Millionen, Filz und Schuld. Und nicht zuletzt um die Frage: Fällt der Bausenator – und wer mit ihm? Die taz hat schon mal ermittelt

Worum geht es?

Um Geld, Filz und Freundschaften oder: die umstrittene Finanzierung des Kreuzberger Kulturzelts, das als privates Bauvorhaben begann und als öffentliche Großbaustelle endete. Der Ausschuss soll die Hintergründe für die von ursprünglich 16 Millionen auf 30 Millionen Euro angewachsenen Baukosten sowie die möglichen „Verfehlungen“ – sprich Millionensubventionen und Spenden – von Politikern, darunter insbesondere SPD-Bausenator Peter Strieder sowie Ex-Finanzsenator Peter Kurth (CDU) und Wirtschaftskollege Wolfgang Branoner, ebenfalls CDU.

Wer ermittelt im Ausschuss?

Chefermittler ist der CDU-Abgeordnete Michael Braun – ein Mann, der für seine Unberechenbarkeit bekannt ist. Bis auf die Haushaltexperten Oliver Schruoffeneger (Grüne) und den stellvertretenden Vorsitzenden Carl Wechselberg (PDS) gilt für die anderen der insgesamt neun Mitglieder: Sie kommen aus der zweiten Reihe der Fraktionen.

Wie lange dauert das Ganze?

Mindestens ein halbes Jahr. Heute werden erst einmal Akten von Staatsanwaltschaft und Senat angefordert. Bis die da sind, vergehen mindestens 4 bis 6 Wochen. Die Unterlagen muss der Ausschuss dann noch lesen, um den Vorgeladenen Fragen stellen zu können. Dann erst setzt sich der Ausschuss wieder zusammen.

Wie viel Geld ist im Spiel?

1. 30 Millionen Euro Baukosten.

2. Rund 7 Millionen Euro für gestopfte „Finanzlücken“ aus Bank,- Landes- und Lottomitteln.

3. 4.700 Euro Wahlparty-Gelder von Tempodrom-Förderer und Bauunternehmer Roland Specker an die SPD.

4. Zusätzliche 1,7 Millionen Euro der Investitionsbank Berlin (IBB) auf Vorschlag Strieders.

5. Rund 10 Millionen Euro einer Landesbürgschaft.

6. (Noch nicht aufgetauchte öffentliche Mittel.)

Wer muss erscheinen?

20 bis 30 Zeugen. Hauptverdächtiger der Tempodrom-Affäre ist SPD-Senator Peter Strieder, der den Bau nach Kreuzberg gelotst hat. Wohl ran müssen auch die beiden Ex-CDU-Senatoren Branoner und Kurth und Aktuell-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sowie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Aussagen werden auch Tempodrom-Gründerin Irene Moessinger, die Vorstände der Stiftung Neues Tempdorom und Bauunternehmer Roland Specker. Außerdem sollen die Grünen Adrienne Goehler (Ex-Kultursenatorin) und ihre Kollegin Alice Ströver (Ex-Staatssekretärin) aussagen. Offen ist: Gibt Kabarettist Arnulf Rating (Ex-Stiftungsratsmitglied) einen Auftritt?

Was bringt der Untersuchungsauschuss?

Keine strafrechtlichen Folgen. Dafür ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Politische sind aber höchstwahrscheinlich. Unter Umständen droht zum einen das Ende der rot-roten Regierung. „Wird die Verbindung zwischen den Zuwendungen an die SPD und dem Senatsbeschluss zum Tempodrom belegt, wäre die Koalition in Gefahr“, sagte PDS-Fraktions- und Landeschef Stefan Liebich. Zum anderen, dass Strieder zurücktritt. Angesichts dieser Option und folgender Neuwahlen kann es die derzeit in Meinungsumfragen weit führende CDU leicht wegstecken, dass vielleicht auch eigene Leute über die Klinge springen – wenn sich Vorwürfe einer angeblichen Mitschuld ihrer früheren Senatoren Peter Kurth und Wolfgang Branoner erhärten.

Was denken die Berliner?

Drei von vier Berlinern glauben, dass beim Tempodrom Steuergelder verschwendet wurden. Fast 60 Prozent sind der Meinung, dass sich manche Politiker – wer wohl? – mit dem Bau ein eigenes Denkmal setzen wollten. 44 Prozent meinen, der Peter Strieder sollte zurück treten. Nur etwa jeder Vierte meint, dass das Tempodrom überhaupt notwendig war.

Geht es auch um Sex?

Nach vorläufigem Ermittlungsstand nicht.

Wird das Thema durch einen Untersuchungsausschuss „beerdigt“?

Zwei Theorien:

1. Ja. In die Tempodrom-Affäre sind – mit Ausnahme der FDP – alle Parteien im Abgeordnetenhaus verstrickt. Diese werden daher nicht sonderlich an Aufklärung interessiert sein. Außerdem brauchen Untersuchungsausschüsse zu lange, bis sie Ergebnisse vorweisen. Mit der Zeit erlahmt der öffentliche Druck. Und er zerfasert, weil es immer wieder ermüdende Spektäkelchen geben wird: Die Politiker werden jedes Fetzchen Information aus dem Ausschuss dazu nutzen, um persönliche und politische Fehden auszutragen. Auch Auschussmitglieder werden angegriffen werden, weil sie angeblich a.) vertuschen oder b.) versuchen, den Ausschuss als Instrument ihrer Partei zu missbrauchen oder c.) mit ihren Fragen/Aussagen den menschlichen Anstand verletzen. Dadurch verschwimmt für die Öffentlichkeit das eigentliche Ziel des Ausschusses. Es geht um Hinz und Kunz und nicht mehr um Aufklärung. Die Hauptarbeit des Ausschusses wird die Rechtfertigung.

2. Nein. Der öffentliche Druck ist zu groß. Zu groß ist auch der Anreiz für die CDU, die Koalition auf diese Weise auszuhebeln – selbst wenn Unionsleute dadurch beschädigt werden. Zudem ist die Tempodrom-Äffare kleiner und überschaubarer als beispielsweise das Milliardendesaster der Bankgesellschaft.

Wem nützt der ganze Schlamassel eigentlich?

Demjenigen, der den Laden kaufen darf. Das ist voraussichtlich der Konzertveranstalter Peter Schwenkow oder Liquidrom-Betreiber Klaus Dieter Böhm. Der Senat ist froh, wenn er das Tempodrom von der Backe hat. Die Entscheidung steht schon seit zwei Wochen im Senat an und könnte morgen fallen.

Und die Moral von der Geschicht‘?

1. Glaube niemandem, der von „Mentalitätswechsel“ (wie Strieder) spricht, sich aber ein Denkmal (wie Strieder) setzen will.

2. Politiker (wie Strieder) sind auch fehlbar.

3. Bau kein Haus (wie Moessinger), ohne es vorher ausfinanziert zu haben.

4. Bau ein Tempodrom (wie Moessinger) ausschließlich mit öffentlichen Geldern.

Muss das Tempodrom abgerissen werden?

Nein. Es sei denn, Asbest wird gefunden.

STEFAN ALBERTI,
ROLF LAUTENSCHLÄGER,
DANIEL SCHULZ