„Glaubensreine“ Abgrenzung

betr.: „ ‚Das Kopftuchverbot ist die falsche Antwort‘, sagt Günter Piening“, taz vom 20. 2. 04

Im alltäglichen Leben begegnen wir unzähligen Trachten, Uniformen, Selbstdarstellung durch Gewänder von Orden oder Vereinigungen. Erleiden wir durch diesen Anblick Schaden? Ich denke, kaum. Es gibt ein Wort (Swedenborg?): „Du kannst Menschen mit ‚falschen Ideen‘ umbringen, doch niemals die falschen Ideen damit aus der Welt bringen.“

Ein Beispiel, wie wenig selbst Ordenstracht mich als zehnjähriges Mädchen beeindruckt oder beeinflusst hat: 1948 lebte ich für fünf Monate bei Bekannten in Bayern und besuchte die dortige Schule. Es war mir nahezu unverständlich, dass Kinder getrennt nach vererbtem Glauben in eine katholische oder evangelische Schule gingen. Lehrer und Schüler waren „glaubensrein“, nur „Handarbeit“ wurde in meiner evangelischen Schule von einer katholischen Nonne in Ordenstracht gelehrt. Der große freie Schulhofplatz der nebeneinander liegenden Schulen war durch einen Drahtzaun getrennt. In unserer Klasse war ein sehr hübsches, blondes Mädchen, und was wurde ihr (drei Jahre nach Kriegsende) zugeraunt bis mittellaut im Chor skandiert: „Halbjüdin, Halbjüdin …“ Die Kleidung der Nonne hat mich überhaupt nicht gestört, aber der Missklang der Schülerstimmen „Halbjüdin, Halbjüdin …“ ist mit mir durch dieses Leben gegangen, und damit entstand eine sehr starke Abneigung gegen Abgrenzung, Eingrenzung aus welch „gut gemeinten“ ideologischen oder religiösen Gründen auch immer. […]

Und so wünsche ich mir weniger Fixation auf Äußerlichkeiten und die Streitereien darum, sondern ein lebendiges Mittun für Wesentliches, das Voraussetzung und tragende Grundlage einer Demokratie ist. Ermutigen kann dazu, was Solon (Gesetzgeber in Athen vor ca. 2.500 Jahren) schrieb: „Welcher ist der beste Staat? Der, in dem die nicht Betroffenen ebenso empört über ein Unrecht sind wie die Betroffenen.“ LILO NISCHWITZ, Görlitz