Städte auf dem Weg zum geordneten Rückbau

Eine Tagung rät, dem Schrumpfen der Städte das Loser-Image zu nehmen. Tenever ist eines der Pilotprojekte. In Zukunft Luxus- und Armenregionen?

taz ■ Mehr als zweihundert Experten versammelten sich gestern im Parkhotel zum ersten fachöffentlichen Gespräch über das von der Bundesregierung initiierte Programm „Stadtumbau West“. Der Tagungsort war gut gewählt: Eines der elf Pilotprojekte, mit denen das Bundesministerium für Bau prüfen will, ob ein solches Programm auch für die alten Bundesländer dauerhaft aufgelegt werden muss, heißt Osterholz-Tenever. Und so wird die Hochhaussiedlung im Nord-Osten Bremens – einst ein Vorzeigeprojekt für urbanes, verdichtetes Wohnen – erneut zum Vorbild. Diesmal allerdings soll die Fachwelt am Beispiel Tenevers lernen, wie man Stadt zurückbaut, Sprich: abreißt (siehe Interview).

„Wir stehen vor der neuen Herausforderung, mit rückläufigen Entwicklungen fertig werden zu müssen“, leitete der Staatssekretär im Bauministerium, Achim Großmann, die Tagung ein. Neben Bremen-Tenever hat der Bund zehn weitere Projekte aus sieben Bundeländern ausgewählt, in denen städtebauliche Miseren aufgearbeitet werden. 15 Millionen Euro hat die Bundesregierung dafür locker gemacht.

Die ausgewählten Städte sind in der Regel vom Strukturwandel gebeutelt, so etwa Pirmasens vom Wegfall der Schuhindustrie, Selb durch den Niedergang der Porzellanindustrie, Bremerhaven – auch dies ein Pilotprojekt im „Stadtumbau West“ – durch den Zusammenbruch der Hafenwirtschaft. Einzelne Projekte in diesen Städten wurden auf dem Fachtag ausführlich vorgestellt.

In den Podiumsrunden wurde vor allem eines deutlich: Die Probleme, mit denen Kommunen auch im Westen kämpfen, sind nicht punktuell, sondern strukturell. Dank stark rückläufiger Bevölkerungszahlen – aktuelle Schätzungen gehen von zwölf Millionen weniger Einwohnern im Jahr 2050 aus – und einer zunehmenden Überalterung, müssen sich, so Dietrich Henckel vom Deutschen Institut für Urbanistik, die allermeisten Städte auf’s Schrumpfen einstellen. Es gelte jetzt, das „Loser-Image“ loszuwerden, das mit Schrumpfungsprozessen immer noch einherginge – vor allem bei Politikern. Bei denen sei „Offenheit gefragt, nicht Erkenntnisverweigerung“.

Norbert Porz vom Deutschen Städte- und Gemeinde-Bund zog aus der Prognose schrumpfender Städte Schlüsse, die unter anderem für Bremen, aber auch für das Ruhrgebiet oder die abgeschlagenen Stahl-Städte an der französischen Grenze ein Horrorszenario darstellen. Der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse für alle Bürger Deutschlands – einer der Gründe für die Finanzspritzen des Bundes an Bremen und das Saarland – könne in Zukunft vermutlich nicht aufrechterhalten werden. Es werde „verschiedene Ligen in der Lebenshaltung geben“, mutmaßte Porz. Er forderte vom Bund die deutliche Ausweitung des Programms „Stadtumbau West“: „Wir stehen mit dem Brachfallen ganzer Stadtteile erst am Beginn einer Entwicklung, nicht am Ende.“ E. Heyduck