Zweierlei Cokes

Wie es sich anfühlt, erstmals in Berlin zu landen und plötzlich eine Menge sehr cooles Zeugs zu erleben. Zum Beispiel eine Lebensliebe kennen lernen. Oder einen Haufen Musiker: Ein Porträt des Neuberliner HipHop-Produzenten und MCs Fat Jon

von CHRISTOPH BRAUN

Vor etwa einem Jahr tourte ein Bus voller hoffnungsvoller amerikanischer HipHopper durch Europa. „Superrappin’“ betitelten die HipHopper diese Tour – weil sie eine Menge auf sich hielten, aber auch weil sie gerade eine Compilation gleichen Titels auf dem weltweit agierenden Kölner Indielabel Groove Attack herausgebracht hatten. Mit im Bus saß auch Fat Jon, dem das Ganze überaus gefiel, der es dann aber vorzog, seine Reise in Berlin zu beenden. Denn seit er erstmals seinen Fuß auf Berliner Boden setzte, „ist eine Menge sehr cooles Zeug passiert“, wie Fat Jon in seinem schön melancholisch schwebenden Singsang erzählt.

Zunächst einmal lernte der Produzent und MC aus Cincinnati, Ohio in Berlin eine Frau kennen. Sie war der Hauptgrund dafür, dass Fat Jon seinen Wohnsitz verlagerte. Man sieht es ihm an, dass Entscheidendes in seinem Liebesleben passiert ist – so wie Fat Jon da im San Remo Upflamör an der Kreuzberger Oberbaumbrücke mit leuchtenden Augen und entspanntem Gesichtsausddruck sitzt und heiße Zitrone mit Honig schlürft, hat er nur noch wenig gemein mit jenem leicht verbissenen und schwergewichtigen HipHopper, der im Frühjahr 2002 nach MC Grand Agent und vor MC Declaime auf der Bühne des Icon im Prenzlauer Berg stand.

Liebe macht schlank, könnte man zusätzlich denken, doch dafür hat Fat Jon noch eine andere Erklärung parat: „Das passiert, wenn Amis nach Europa ziehen. Ihr esst und trinkt hier einfach weniger. Bestell drüben eine große Cola – sie geben dir einen Eimer. Hier bestellst du ‚Eine große Cola mit Eis‘, und du erhältst ein Gläschen“, lacht er. Außerdem laufe er in Berlin viel zu Fuß, während er in Cincinnati einen Wagen besaß und diesen auch ordentlich herumfuhr.

Wer im Wedding wohnt, muss halt einige Kilometerchen laufen, um nach Mitte zu kommen, beispielsweise. In seiner Wohnung hat er gleichsam einen Aufnahmeraum installiert, „eine Kopie meines Studios von Cincinnati“. Mischpult und Effektgeräte stehen darin, ein paar Instrumente, zwei Plattenspieler, Mikros. Alles nicht unbedingt für Dritte gedacht: Fat Jon spielt Piano, Keyboards, bastelt Beats, remixt und rappt. Und: „Ich vermisse meine Querflöte! Jedes Mal, wenn ich in Cincinnati bin, vergesse ich sie mit herzunehmen.“ Seine Leute in Cincinnati und seine Band Five Deez, die vergisst er dagegen nicht. Mehr noch, während der vergangenen 12 Monate haben die Five Deez ein neues Album fertig gestellt. Für Fat Jon bedeutete das ein Hin und Her zwischen Berlin und der 350.000-Einwohner-Stadt in Ohio. Doch schließlich bilden die Five Deez nach wie vor die wichtigste der unzähligen musikalischen Unternehmungen Fat Jons. Für das 2001 erschienene Album „Koolmotor“ hat das Quartett von Fach- bis Fanzines nur Lob erhalten.

Die mal auf Akustikgitarren, mal auf Houseloops basierenden Beats werden zusammengehalten von der transparenten, leicht silbrig schimmernden Produktion Fat Jons. Dazu fabrizieren die Five Deez Raps über Grundlegendes wie Liebe, Schönheit und Trauer und reichern diese mit einer Menge Soul und weiteren geschichtsträchtigen Sounds an. Auf „B.E.A.T.“ etwa spielt Fat Jons Flöte eine vielsagende Figur: Sie verdeutlicht, dass sich die Hauptmotive aus John Coltranes „A Love Supreme“ und Kraftwerks „Computerwelt“ nur in einer Note unterscheiden.

„Nein, dass war mir gar nicht bewusst, als wir den Song aufnahmen“, befürchtet Fat Jon einen Plagiatsvorwurf. „Ich improvisierte nur zu dem Bass, der bereits eingespielt war.“ Zu Kopisten zählen aber auch die Five Deez bestimmt nicht. Fat Jon mit seinen 27 Jahren gehört zu der Generation, die in der US-amerikanischen Provinz als erste mit HipHop aufgewachsen ist. „Crews gab es damals ja noch nicht. Ich habe halt alleine Breakdance getanzt und schon als Kind gereimt, auch zu Gruppen wie Kraftwerk. Mittlerweile sind ich und meine Crew Old School. Old School Cincinnati.“ Wieder muss er laut lachen, die Diskrepanz zwischen einem derart wichtigtuerischen Etikett und seiner bescheidenen Persönlichkeit wirkt erheiternd auf ihn.

Zu dem „coolen Zeugs“ seines Berlin-Aufenthalts gehört für Fat Jon auch der Kontakt zu mehreren Berliner Labels und Musikern. Im September veröffentlicht das Label Studio K7! das neue Five-Deez-Album. Noch später erscheint auf Morr Music eine von Elektro-Songwriter Styrofoam und Fat Jon koproduzierte Platte. Und für das neue, im Juli erscheinende Pole-Album hat er ebenfalls vier Raps beigesteuert.

Dieses Multitasking hilft ihm, immer neue Erzählweisen auszuprobieren. „Das ist ja auch der Grund, weshalb ich so viele Pseudonyme wie The Ample Soul Physician oder Maurice Galactica benutze. Man fordert sich damit selbst heraus, man fordert sich heraus, anders zu denken.“ Diese Pseudonyme helfen ihm aber auch, nicht länger auf tradierte Konstrukte wie „die Nation“ zurückgreifen zu müssen. Dass er sich nicht als „US-Amerikaner“ fühle, sagt Fat Jon, das sei nicht erst seit George W. Bush so, dem er Wahlbetrug und Manipulation der Weltöffentlichkeit vorwirft. „Ich habe mich noch nie als Teil von Amerika gefühlt. Denn wer als Schwarzer in den Vereinigten Staaten aufwächst, der hört ständig nur, ein Sklave zu sein. Also warum sollte ich Patriot sein?“