Investieren statt musizieren

Die Stadt Dresden ist hoch verschuldet, aber sie baut Straßen und Brücken. So viel wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dafür spart sie an der Kultur und an Sozialprojekten

DRESDEN taz ■ Die DDR, man erinnert sich, krankte auch daran, dass sie kaum noch investieren konnte, aber ein opulentes Kulturprogramm finanzierte. Das war purer Idealismus, hieß aber materialistische Weltanschauung. Heute, wo alle aus den Fehlern der Geschichte gelernt haben, scheint es umgekehrt. Eine Stadt wie Dresden, ähnlich hoch verschuldet wie Berlin, setzt die Existenz der städtischen Theater, der Musikfestspiele, der Philharmonie und alle freiwilligen Leistungen im Jugend- und Sozialbereich aufs Spiel, will aber so viel bauen wie seit 1995 nicht mehr. Um den Verwaltungshaushalt auszugleichen, müssten alle lebendigen Ausgaben der Stadt halbiert werden.

Öffentliche Investitionen galten besonders im Osten der Neunzigerjahre als sakrosankt. Bis heute muss offenbar in schöner DDR-Tradition Fortschritt vorgetäuscht werden, für den die materiellen Grundlagen längst entfallen sind. Wer auch nur laut über Sparpotenziale bei Investitionen nachdenkt wie Sachsen-Anhalts Finanzminister Karl-Heinz Paqué (FDP), verärgert nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die SPD und die Gewerkschaften.

Wenn in Kommunen und besonders in Großstädten über die dramatische Haushaltslage öffentlich debattiert wird, geht es meist nur um Kürzungen der lebendigen Ausgaben im Verwaltungshaushalt. Die meisten Bürger wissen gar nicht, dass es einen Verwaltungs- und einen Vermögenshaushalt gibt. Sie fragen sich nur, warum etwa Dresden unbedingt für 142 Millionen Euro ein Brückenmonster über die Elbe bauen muss und dafür seinen Ruf als Kulturstadt ruiniert. Zwar lässt die Trennung beider Haushalte eine direkte Aufrechnung nicht zu. Das entschärft die Fragestellung aber keineswegs.

In der heilen Welt der in allen Bundesländern ähnlichen Gemeindehaushaltsverordnungen erwirtschaftet eine Kommune einen Überschuss im Verwaltungshaushalt und führt diesen dem Vermögenshaushalt und der Rücklage zu. Damit kann dann investiert werden. Das zugeführte Geld muss die Kredittilgung und Kreditbeschaffungskosten decken und außerdem die Mindestrücklage bedienen. Kredite müssen letztlich also aus den laufenden Einnahmen des Verwaltungshaushaltes finanziert werden. Dresden führt in diesem Jahr sogar exakt die 67,4 Millionen dem Vermögenshaushalt zu, die dem Defizit im Verwaltungshaushalt entsprechen.

Viele Gemeinden können aber nicht einmal mehr diese Mindestzuführung aufbringen, berichten die Finanzexperten der Städte- und Gemeindebünde in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dann werden die Kofinanzierungsanteile für Investitionen eben aus Krediten oder dem Verkauf von Grundstücken und kommunalen Unternehmen aufgebracht. In Thüringen haben sich die Investitionen dennoch in den letzten 10 Jahren halbiert. Auch die Vermögenshaushalte sind vielfach überfordert. Kommunen aber sind der wichtigste Wirtschaftsfaktor für Kleinunternehmen und Mittelstand vor Ort. Außerdem binden Investitionen Fördermittel, im Osten mit durchschnittlich 50 Prozent Förderanteil doppelt so viel wie im Westen. Es wäre dumm, darauf wegen fehlender Kofinanzierung zu verzichten, argumentiert nicht nur Dresdens Finanzbürgermeister Vorjohann.

Also wird, wo es nur geht, an laufenden Ausgaben gespart, um die Investitionen nicht zu gefährden. Eigentlich ließe die Haushaltsverordnung in Notlagen auch die umgekehrte Möglichkeit zu, aus Rücklagen den Verwaltungshaushalt auszugleichen. Das ist nur Theorie, kommentiert Bernhard Schäfer vom Thüringer Gemeindebund. Der Notfall ist inzwischen die Regel. „Die Kommunen, aber nicht nur sie haben über ihre Verhältnisse gelebt“, sagt ein Finanzwissenschaftler der Verwaltungsfachhochschule Meißen, der nicht genannt sein möchte. Er verweist vor allem auf die Folgekosten des Investitionsbooms mit seinen zahlreichen Fehlgriffen vom Beginn der Neunzigerjahre. „Es ist eben alles eine Frage der Philosophie“, meint Achim Gruhnke vom Kommunalpolitischen Forum der PDS Sachsen. „Die Diskussion um wirklich nachhaltige Investitionen hat erst begonnen“, ergänzt die bündnisgrüne Stadträtin Eva Jähnigen in Dresden.

MICHAEL BARTSCH