Rollender Protest mit Lücken

Zum „Europaweiten Protesttag der Menschen mit Behinderung“ gehen auch in Berlin 400 Demonstranten auf die Straße – oder korrekter gesagt: Sie fahren

Obwohl die Polizei die Wilhelmstraße weiträumig abgesperrt hat, ist sie befahren – von Rollstuhlfahrern. Zum Beispiel von Günter Borrutsch. Er hat seit seiner Kindheit eine Spastikerlähmung. Seit drei Jahren sitzt er im Rollstuhl. Seit zwei Jahren beteiligt er sich jedes Jahr am 5. Mai an dieser Veranstaltung: dem „Europäischen Protesttag der Menschen mit Behinderungen“.

Etwa 400 Menschen haben gestern vor dem Bundesfinanzministerium gegen Kürzungen im Sozialbereich demonstriert. „Wir wollen, dass in diesem Land mehr Finanzen für Soziales ausgegeben werden und weniger für den Krieg“, ruft Ilja Seifert, Vorsitzender des Berliner Behindertenverbandes, durchs Megafon. Er fordert mehr Betreuungsgeld und ein Antidiskriminierungsgesetz. „Über sieben Brücken musst du gehn“, ertönt der Peter-Maffay-Klassiker aus dem Lautsprecherwagen, während sich der Großteil der Rollstuhlfahrer und ihre Betreuer langsam auf den Weg Richtung Bundessozialministerium macht. Sie wollen eine Menschenkette bilden. Zivildienstleistende und junge Sozialarbeiter verteilen Kopien von 200-Euro-Scheinen. Ohne Genehmigung der Bundesdruckerei, versichert Seifert, „dafür aber sozial ausgewogen“. Denn auf der Rückseite stehen die Forderungen der Behinderteninitiativen: gleiche Leistung bei gleichartiger Beeinträchtigung, Ausweitung ambulanter Angebote und mehr Personal in der Behindertenbetreuung.

Mit Gepfeife und polizeilicher Begleitung stellen sich die Demonstranten nach und nach nebeneinander, doch es klappt nicht. Die Menschenkette, die bis zum Gesundheitsministerium zwei Straßen weiter führen soll, kommt nicht zustande – die Strecke ist zu lang. Dafür aber ein Gespräch mit dem Bundesbehindertenbeauftragten Karl Hermann Haack (SPD): Er bestätigt, dass die soziale Grundsicherung für Menschen ohne Rentenansprüche nicht reicht. Zur Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz sagt Haack, dass dies zurzeit durch die Grünen blockiert werde. Weil die ein Gesamtpaket wollen, das auch Homosexuelle und Migranten abdeckt. Mit der Begründung geben sich die Demonstranten nicht zufrieden. Sie pfeifen den SPD-Politiker aus. Seifert: „Wir lassen nicht zu, dass wir benachteiligten Gruppen untereinander ausgespielt werden.“

FELIX LEE