Ein unerschütterlicher Optimist

Für viele war Bernd Holtfreter der Kiezkönig von Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten verhinderte er den Abriss von Altbauten. Später kämpfte er für das Stadtbad – und war immer auf der Seite der Mieter, erst in Bürgerinitiativen, dann für die PDS im Abgeordnetenhaus. Am Sonntag ist er gestorben

ein Nachruf von UWE RADA

Vor ein paar Wochen, da war er gerade für einige Zeit zu Hause und nicht im Krankenhaus, rief Bernd Holtfreter in der taz an. Es ging um den Ausstieg aus der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau, den Bernd im Prinzip richtig fand. „Schreib aber noch rein“, fügte er hinzu, „dass die Interessen der Mieter unbedingt berücksichtigt werden müssen.“ So war er, bis zum Ende. Schon vom Krebs gezeichnet, setzte er sich ein, so wie er sich immer eingesetzt hat, zuerst im Kiez rund um die Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, später dann im Abgeordnetenhaus.

Ein Kiezkönig hat ihn irgendwer einmal genannt, es klang eher bewundernd als argwöhnisch. Ein Kiezkönig, das war Bernd Holtfreter schon zu DDR-Zeiten. Gerne hat er die Geschichte erzählt, wie die Künstler aus der Oderberger die Nationale Front unterwandert haben. In deren unterstes Organ, den Wohnbezirksausschuss (WBA), haben sie sich wählen lassen und irgendwann war Holtfreter sogar der Vorsitzende, der „einzige Oppositionelle, der in der DDR ein Staatsamt hatte“, witzelte er. Nun konnten die Anwohner selbst entscheiden, wer im Hirschhof zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee auftreten durfte – und auch der Mitte der 80er-Jahre dort geplante Altbauabriss wurde verhindert.

Mit dem Prenzlauer Berg hatte Holtfreter früh eine Liebe verbunden. Schon als 15-Jähriger war er an den Wochenenden regelmäßig von Rostock, wo er geboren wurde, nach Berlin gefahren. Und damals machte er auch seine ersten Begegnungen mit der Opposition. „Am Wochenende nach dem Einmarsch in Prag“, erinnerte er sich, „fuhr ich nach Birkenwerder zu Jutta und Burkhard Kleinert, wo wir mit Hilfe von Kinderstempeln Flugblätter gegen die Invasion fertigten.“

Anders als viele seiner Mitstreiter hat er nach dem Mauerfall dort weitergemacht, wo er zum Ende der DDR aufgehört hatte – in der Opposition. Selbst Vorsitzender des WBA ist er geblieben, auch wenn es nun offiziell keinen WBA mehr gab und ein Bündnis von Kiezinitiativen normalerweise auch keinen Chef duldete. Aber Holtfreter war eine Ausnahme. Bei ihm wusste man die Dinge in den richtigen Händen. Es war sein Optimismus, sein unerschütterlicher Glaube, dass „man da was machen kann“, der so viele mitgerissen hat. So hat es auch niemanden wirklich verwundert, als 1992 zur ersten Demo gegen die Ostberliner Mieterhöhungen zehntausend kamen. W.B.A., das hieß fortan etwas augenzwinkernd: „Wir bleiben alle.“

Nur Bernd blieb nicht, das war 1995. Damals ließ Holtfreter sich als Direktkandidat für das Abgeordnetenhaus aufstellen. Für die PDS, das haben ihm manche aus gemeinsamen Oppositionszeiten übel genommen. Andere ärgerten sich, weil er die „Politik von unten“ gegen die „Politik von oben“ ausgetauscht habe. Dritte überlegten, wie schlimm es um ihren Kiez stünde, wenn Bernd, der Kapitän, das sinkende Schiff verlässt. Alle haben sie diesen Schritt als Zäsur empfunden. Vielleicht war er aber auch nur eine Emanzipation. Das Leben als „Kiezkönig“ kann ganz schön anstrengend sein.

Im Leben als Abgeordneter ist Bernd Holtfreter nie so richtig angekommen, zumindest nicht als Politiker. Selbstdarstellung war seine Sache ebenso wenig wie eine Rede vor dem Plenum. Viel lieber arbeitete er im Hintergrund, und da konnte er durchaus Erfolge vorweisen. Den Verkauf der Wohnungsanlage „Bremer Höhe“ an eine Mietergenossenschaft zum Beispiel.

Seinen größten Erfolg zu erleben, war Bernd Holtfreter allerdings nicht mehr vergönnt – die Wiedereröffnung des Stadtbads Oderberger Straße. Zehn Jahre lang hat er darum gekämpft, hat eine Bürgerinitiative gegründet, Besetzungen vorbereitet, Finanziers gesucht. Vor anderthalb Jahren war es schließlich so weit. Finanzsenator Thilo Sarrazin gab grünes Licht für den Verkauf des Bades an eine von Holtfreter initiierte Genossenschaft. Nun wird aus dem leer stehenden Bad aus dem Jahre 1902 ein Spaßbad mit Saunalandschaft. Auch das gehört zum Leben von Bernd Holtfreter. Im Ringen um das Bad, vom Kampf gegen die Privatisierung bis zur Vertragsunterzeichnung mit der Genossenschaft, spiegelt sich die Geschichte auch eines Kiezes und seines Wandels. Wir bleiben alle, das klingt heute ganz anders als vor dreizehn Jahren.

Bernd Holtfreter wusste es, und er hat getan, was er zu tun hatte: „Die Interessen der Mieter müssen berücksichtigt werden.“ Am Sonntag, wenige Tage nach seinem 52. Geburtstag, ist Bernd gestorben.