„Das Leben ist unordentlich“

Sie ist nicht nur die erste, sondern auch die dienstälteste Beauftragte für Migrations- und Integrationspolitik. Barbara John im Gespräch über die persönliche Bilanz nach 21 Jahren Amtszeit und ihre Rolle als offizielle „Rentnerin“

taz: Frau John, seit gut 21 Jahren arbeiten Sie in diesem eher unschönen Flachbau an der Potsdamer Straße. Hat Sie das nie gestört?

Barbara John: Das stört mich natürlich von außen. Aber innen ist es wegen des direkten Zugangs und der Großraumsituation eine sehr geeignete Dienststelle. Die räumlich offene Atmosphäre erzeugt das Gefühl, willkommen zu sein; das passt gut zu der Aufgabe einer Ausländerbeauftragten: Ich bin dazu da, praktische Probleme zu lösen, um das strategische Ziel des Zusammenlebens vieler Kulturen zu erreichen.

Haben Sie Einzelschicksale auch persönlich betroffen gemacht?

Ja, besonders dann, wenn durch überholte, unsinnige Regelungen Familien auf Dauer auseinander gerissen werden. Kinder können unter bestimmten Konstellationen dann nicht mit ihren Eltern zusammenleben. Das Leben ist, das habe ich hier gelernt, unordentlich. Besonders menschliche Schicksale, die mit Migration zusammenhängen, stoßen sich an oft vorhandenen Vorschriften. Das erzeugt manchmal enorme Härten.

Ihrer Meinung nach geht das geplante Zuwanderungsgesetz nicht weit genug. Beispiel Arbeitserlaubnisse. Ihre Partei, die CDU, bestreitet immer noch, dass wir ein Einwanderungsland sind. Haben Sie je daran gedacht, die Partei zu wechseln?

Nein. Wenn eine Partei in Sachen Einwanderung und Integration zu wenige Fachleute mit politischem Engagement hat, dann verlässt man sie doch nicht. Bei der SPD und bei den Grünen tummeln sich genug Leute, die dieses Feld bearbeiten, was sollte ich da?

Ihre Amtsbilanz fällt positiv aus. Woran sind Sie gescheitert?

Der muslimische Religionsunterricht ist ein Beipiel. Ich habe ihn immer in einer Form empfohlen, dass alle wichtigen großen Trägergruppen den Unterricht gemeinsam erteilen, um ein breit akzeptiertes Angebot und eine Alternative zu den Koranschulen zu bieten. Dazu ist es aber nicht gekommen. Mittlerweile hat sich die Föderation über ein Gerichtsurteil als einziger Träger für muslimischen Religionsunterreicht eingeklagt.

In Bezug auf die Islamistische Föderation wird immer wieder der Vorwurf laut, Sie würden Extremisten gesellschaftsfähig machen. Trifft Sie das?

Mich trifft, dass einige selbst ernannte Experten Rede- und Denkverbote erlassen würden, wenn sie es könnten. In einer offenen Gesellschaft geht das nicht. So diffamieren sie diejenigen, die sich ihren vordemokratischen Vorstellungen widersetzen.

Machen Sie die vielen Vorwürfe – auch von Seiten anderer Communities, dass Sie die türkische bevorzugen würden – nicht mürbe?

Nein, gar nicht. Es stimmt einfach nicht, und jeder kann sich davon überzeugen, indem er die Zuwendungslisten durchliest.

Sie haben einmal gesagt, was Sie anfangen, bringen Sie auch zu Ende. Werden Sie jemals in Rente gehen?

Ich bin jetzt Rentnerin. Aber das schließt doch nicht aus, sich weiter nützlich zu machen. Das will ich tun. Generell möchte ich sagen, dass es besser wäre, wenn das Rentenalter schon heute auf freiwilliger Basis um zwei Jahre heraufgesetzt werden könnte.

War das Ihre größte Niederlage, dass Sie das Amt abtreten mussten, obwohl Sie ehrenamtlich bleiben wollten?

Wieso Niederlage? Ich habe der Stadt ein gutes Angebot gemacht, das nicht angenommen wurde. Nach 21 Jahren hatte ich dann doch das falsche Parteibuch. Über diese Entscheidung mache ich mir jetzt keine Gedanken mehr. Ich bin hoch motiviert, eine neue Aufgabe zu bewältigen: die Koordination von Sprachförderung.

Hat es Sie überhaupt nicht verletzt, dass die Senatorin Heidi Knake-Werner Ihnen vorgeworfen hat, Sie stilisierten sich als Ikone?

Nein, das fand ich belustigend. Ich würde mich nie so sehen, aber Ikonen sind ja in. Dennoch konnte das nur jemand äußern, der die Arbeit, die ich mit meinem Büro mehr als 21 Jahre geleistet habe, überhaupt nicht im Blick hat.

Wenn Sie die Wahl hätten: woanders Migrationsbeauftragte oder in Berlin Sprachförderung – was würden Sie machen?

Sprachförderung natürlich.

INTERVIEW: SUSANNE LANG