schnittplatz
: Christiane S. – Wir Kinder von 9Live

Er war jung und brauchte das Geld. Mit billiger Erotik verdiente er sich ein paar Euro, mit Striptease und mit schmutzigem Telefonsex. Pfui! Aber es ging ums nackte Überleben. Wer würde da nicht …? Oder Glücksspiel. Dieser verabscheuungswürdige Zeitvertreib, der nur mit staatlicher Genehmigung erlaubt ist.

Eine Rotlicht-Karriere wie aus einem Sat.1-Movie. „Endstation Fernsehstrich“ oder so. Nur ohne Drogen und Knast. Doch so weit wird es nicht kommen. Denn schließlich geht es hier nicht um eine in der Großstadt gescheiterte Landpomeranze, sondern um den integrierten Telefon-TV-Sender Neun Live. Der setzt auf Resozialisierung: Zurück in die Gesellschaft, raus aus dem Rotlicht-Milieu.

Die eher schlichten Quiz-Shows wurden zu „Quiz-Bildungsformaten“ (Neun Live). Rechenaufgaben galt es zu lösen, für die man wissen musste, dass Strich- vor Punktrechnung geht. Dann wurde die Arbeitsvermittlungsshow „Job-Chance“ ins Programm genommen. Da kann man nicht mal kostenpflichtig anrufen.

Und jetzt geht die Läuterung weiter. Bis Ende des Jahres soll die so genannte Erotik, also Sex-Clips und 0190-Werbung, um 50 Prozent reduziert werden. Mit der Kritik der Landesmedienanstalten, die diese Angebote Beihilfe zur Prostitution nannten, soll das nichts zu tun haben, sagte Sender-Chefin Christiane zu Salm der Süddeutschen und ließ per Pressemitteilung verbreiten, dass sie die „medienethische Verantwortung sehr ernst“ nehme.

Eine märchenhafte Geschichte also: völlig desorientiert trieb sich der Neun-Live-Vorgänger tm3 in dem Moloch Fernsehmarkt herum, ging Pleite und geriet hernach moralisch auf die schiefe Bahn – wofür die konvertierte Klosterschülerin Salm eigentlich ganz alleine verantwortlich war – und somit auch für den Gewinn, den der Sender macht. Jetzt will sie auf zweistellige Millionenbeträge pro Jahr verzichten, jedenfalls ab 2004, wenn es nur noch drei Stunden Sex pro Nacht gibt. Langfristig plant Salm sogar die „völlige Enthaltsamkeit“.

Neun Live ist also älter geworden und braucht das Geld nicht mehr so dringend. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit Happy-End. HEIKO DILK