Finale Gedanken

Deutsche Tischtennisspieler gewinnen bei der Mannschafts-WM in Katar ihr Auftaktmatch gegen Belgien

BERLIN taz ■ Gegen den „doppelten chinesischen Sicherheitsgurt“ wettert der deutsche Tischtennis-Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig bisweilen heftig. „Absoluten Blödsinn“ nennt auch sein Star Timo Boll den Modus bei der Mannschafts-WM in Katar. Und Rekordnationalspieler Jörg Roßkopf legt vor seinem 255. Länderspiel in Doha nach: „Das ist eine Frechheit und zeigt, wie die Asiaten den Weltverband dominieren.“

Die deutschen Pingpong-Asse ereiferten sich bereits vor dem gestrigen 3:1-Auftaktsieg gegen Vizeweltmeister Belgien über die Halbfinal-Ansetzungen, die Roßkopf in dieser Form „noch nie in einer Sportart erlebt hat“: In den beiden so genannten Championship Divisions bei Frauen wie Männern prallen die beiden besten der jeweils sechs Teams nicht etwa im Überkreuzsystem Erster gegen Zweiter im Kampf um den Finaleinzug aufeinander, sondern zunächst einmal die Gruppensieger. Der Gewinner zieht direkt ins Endspiel am Sonntag ein, der Verlierer erhält eine weitere Finalchance gegen den Sieger des Zweitplatzierten-Duells. Dank dieses „chinesischen Sicherheitsgurts“ könnten die Titelverteidiger aus dem Reich der Mitte selbst bei einer ziemlich unwahrscheinlichen Niederlage noch das WM-Finale erreichen.

Die hitzige Diskussion schon vor dem ersten Aufschlag lässt aber auch zumindest einen positiven Schluss zu: Boll & Co. haben sich nach Platz sieben vor drei Jahren in Osaka diesmal zumindest gedanklich mit dem Endspiel beschäftigt. In der deutschen Gruppe, die zudem Taiwan, Hongkong und die heutigen Kontrahenten Schweden (11 Uhr) sowie Russland (17 Uhr, jeweils live in Eurosport) umfasst, kann zwar „jeder jeden schlagen, und wahrscheinlich wird keine Mannschaft ohne Niederlage durchkommen“, wie Boll prognostiziert, doch Platz zwei sei „gegen die unangenehmen Gegner machbar“, glaubt auch sein Gönnerner Vereinskamerad Roßkopf. Wie 1997 in Manchester soll daher zumindest Bronze winken.

Die deutschen Frauen wären derweil schon froh, wenn sie nach der unvermeidlichen 0:3-Niederlage gegen China von gestern zwei der vier Kontrahentinnen aus Südkorea, Singapur, Russland und Taiwan hinter sich ließen und als Gruppenvierte um den siebten Rang spielten.

Während fast alle über die erforderlichen „zwei Siege über China“ lamentieren, um sich die Mannschaftskrone aufsetzen zu können, hat ausgerechnet der einzige deutsche WM-Debütant die einfachste Taktik parat, um den „chinesischen Sicherheitsgurt“ zu lösen: „Im Halbfinale schonen wir Timo Boll und unterliegen China. Danach qualifizieren wir uns im nächsten Match fürs Endspiel. Mit Timo haben wir einen absoluten Weltklassemann und können gegen alle anderen Mannschaften gewinnen. An guten Tagen ist alles möglich, denn China ist auch nicht die unbezwingbare Übermacht“, verkündet Christian Süß forsch.

Auf niederer Sparflamme zu kochen, scheidet ansonsten für den 18-Jährigen vom deutschen Meister Borussia Düsseldorf aus. Das Motto von Süß lautet: „Immer volle Pulle.“ An der Platte zeigt der „deutsche Junior-Sportler des Jahres“, der im Nachwuchsbereich wie der vier Jahre ältere Boll zahllose europäische Titel abräumte, „große Risikobereitschaft – nur manchmal bin ich noch zu wild und mache dann verrückte Sachen“.

Vor allem auf „verrückte“ Ergebnisse von Süß baut Bundestrainer Istvan Korpa. Der bereits auf Platz 92 der Weltrangliste vorgestoßene Youngster hat in dieser Saison den WM-Dritten Kalinikos Kreanga (Griechenland) und den Belgier Jean-Michel Saive bezwungen. Deswegen hält Roßkopf Süß auch raus aus der Personaldebatte: „Christian ist als Nummer drei bei der WM dabei.“ Der in der Bundesliga zuletzt auftrumpfende Lars Hielscher (Jülich/Hoengen) hatte sich ausgebootet gefühlt und die Diskussion entfacht. Hätte einer für Hielscher weichen müssen, meint „Rossi“, wäre dies Vizeeuropameister Torben Wosik (Frickenhausen) oder Zoltan Fejer-Konnerth (Grenzau) gewesen – und nicht Süß. Langfristig traut der ehemalige Worldcup-Sieger dem Debütanten, der schon mit 15 Tischtennisprofi wurde, den Sprung in die Weltspitze zu. Der Rotschopf, der Anfang Februar lieber regulär in Düsseldorf trainierte, anstatt beim Frankfurter Sportlerball vor Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Show-Veranstaltung mit Boll zu bestreiten, steckt seine Ziele keinen Deut tiefer. Sollte es im Exhibition Center von Doha nicht auf Anhieb mit seinem ersten großen internationalen Titel klappen, will der ehrgeizige Süß das spätestens „bei der nächsten Mannschafts-WM 2006 in Bremen“ nachholen. HARTMUT METZ