Eine Übergangsverfassung für den Irak

Der Regierungsrat in Bagdad schließt einen Kompromiss bei der Rolle des Islam im Staat und vertagt die Frage der kurdischen Autonomie. Ein individueller Grundrechtekatalog war dagegen unumstritten. Er ist beispielhaft in der arabischen Welt

VON KARIM EL-GAWHARY

Nach Tagen zäher und mitunter turbulenter Verhandlungen haben sich die Mitglieder des irakischen Regierungsrates gestern im Morgengrauen auf einen vorläufigen Verfassungsentwurf geeinigt. Als „historisches Dokument“ lobten die ermüdeten Teilnehmer anschließend ihr Werk, das den rechtlichen Rahmen bis zu den ersten freien Wahlen darstellen soll.

Vor allem zwei Themenbereiche hatten eine Einigung auch über das von den USA für den vergangenen Samstag gesetzte Ultimatum hinaus verzögert: die genaue Definition des islamischen Charakters des Staates und die Frage, welchen Raum dort eine kurdische Autonomie einnehmen soll. Umso erstaunlicher, dass jeder einzelne Artikel und Unterparagraph am Ende den Konsens aller 25 Regierungsratsmitglieder gefunden hat.

In der Frage der Rolle des Islam kam es zu einem klassischen Kompromiss. Die Prinzipien des islamischen Rechts sollen jetzt nicht, wie von den konservativen Islamisten gefordert, „die“ Quelle der Gesetzgebung darstellen, sondern nur noch „eine“ der Quellen. Jedes Gesetz, so heißt es, dürfe ebenso wenig den allgemein gültigen Grundsätzen des Islam widersprechen wie den in der Verfassung festgelegten individuellen Grundrechten.

Noch am Freitag hatten acht Konservative der dreizehn schiitischen Mitglieder des Regierungsrats die Sitzung verlassen, als sich die liberalen Mitglieder unter dem Applaus einer Gruppe eingeladener Frauenrechtlerinnen gegen die Einführung der Scharia als Rechtsquelle ausgesprochen hatten. Daraufhin tagten die Konservativen und Liberalen in zwei unterschiedlichen Stockwerken. Doch nach einer zehnstündigen Marathonsitzung in der Nacht von Sonntag auf Montag kam schließlich die Einigung. Und die enthielt eine für die arabische Welt einzigartige Formel: ein Viertel des künftigen Parlaments soll aus Frauen bestehen. Dabei, so heißt es jedoch einschränkend aus Kreisen der US-Besatzungsverwaltung, handle es sich aber nicht um eine feste Quote, sondern um eine Zielvorstellung.

Beim zweiten umstrittenen Themenkomplex, der Rolle der Kurden im zukünftigen Staat, kam es dagegen nicht zu einem Kompromiss. Stattdessen einigten sich die Mitglieder des Regierungsrats jetzt darauf, dieses Problem erst in der endgültigen Verfassung anzugehen. So ist jetzt zwar das Prinzip des Föderalismus festgeschrieben, die genauen Grenzen dieses Konstrukts sollen aber zu einem späteren Zeitpunkt ausgehandelt werden. Der Status mehrerer von Kurden und Arabern gleichermaßen beanspruchter Gebiete, wie etwa die erdölreiche Stadt Kirkuk, bleibt also weiter ungeklärt. Die Kurden dürfen ihre bisherigen, bereits unter Saddam Hussein erstrittenen autonomen drei nördlichen Provinzen „in einem vereinten Irak“ zunächst aber weiter selbst verwalten. Als weiteres Zuckerstück wird ihnen auch künftig erlaubt, ihre Peschmerga-Milizen in den autonomen Gebieten zu behalten und diese vorläufig nicht in eine irakische Armee zu integrieren.

Bemerkenswert sind aber nicht nur die Kompromisse der neuen vorläufigen Verfassung, sondern auch all die Punkte, über die sich alle Seiten einig waren. So war ein individueller Grundrechtekatalog zu keinem Zeitpunkt umstritten. Darunter fallen das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Versammlungsrecht und das Recht auf freie Religionsausübung. Auch dass der Irak in Zukunft von einen Präsidenten, zwei Vertretern und einem Ministerpräsidenten regiert werden soll, stieß am Ende auf Zustimmung. Zuvor kursierte der Vorschlag, mehrere Präsidenten mit schiitischem, sunnitischem und kurdischem Hintergrund rotieren zu lassen.

Keine Antwort gibt die neue Verfassung übrigens auf die brennende Frage, welches Gremium den Irak nach dem 1. Juli regieren soll, also jenem Datum, das die USA als Beginn der irakischen Souveränität angesetzt haben. Denn freie Wahlen sollen nach Meinung der UNO frühestens Ende des Jahres möglich sein. Wie dieses weitere provisorische Gremium zusammengestellt werden soll und welche Befugnisse es genau hat muss erst noch zwischen der US-Verwaltung und dem jetzigen Regierungsrat ausgehandelt werden.