Berlusconi mimt vor Gericht den „Integren“

Italiens Ministerpräsident hält den Prozess gegen ihn wegen Richterbestechung für eine „politische Hexenjagd“

ROM taz ■ Mit einer gut einstündigen Erklärung hatte Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi gestern seinen ersten Auftritt in dem nunmehr schon seit drei Jahren gegen ihn laufenden Prozess wegen Richterbestechung. Berlusconi, der bisher der Verhandlung in Mailand immer ferngeblieben war, legte nur ein Geständnis ab: Er habe den Prozess „unterschätzt“.

Ein Urteilsspruch droht schon im Sommer, und in einem parallelen Verfahren, ebenfalls wegen Richterbestechung, wurde Berlusconis enger Vertrauter Cesare Previti letzte Woche zu elf Jahren Haft verurteilt. Berlusconi, der sich immer wieder vorwerfen lassen muss, er denke als Politiker an seine unternehmerischen Interessen, legte gestern in Mailand dar, eigentlich sei es umgekehrt: Er sei schon als Unternehmer Staatsmann gewesen.

In der 1985 tobenden Übernahmeschlacht um den staatlichen Lebensmittelkonzern SME – die er beeinflusst haben soll, indem er mehrere Richter schmierte – habe er „im Interesse des Staates“ gehandelt und Schaden vom Staat abgewendet; er habe gar nicht im eigenen Interesse gehandelt, sondern bloß mit einem Scheingebot auf Wunsch seines Freundes, des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi, den Ausverkauf der SME zum Schleuderpreis an einen anderen Unternehmer verhindert. Stolz könne er deshalb auf sein „integres Verhalten“ sein; der laufende Prozess dagegen sei schlicht „paradox“ – bloß eine politisch motivierte Hexenjagd.

Schuldige lokalisierte Berlusconi woanders: im Vorstand der SME-Muttergesellschaft, der Staatsholding IRI. Deren Präsident – pikanterweise ein Herr namens Romano Prodi, der als möglicher Gegenkandidat Berlusconis bei den nächsten Wahlen gehandelt wird – habe den staatsschädlichen Verkaufsvertrag für die SME auf den Weg gebracht. Außerdem seien nach Berlusconis Wissen Bestechungsgelder geflossen.

Aber Berlusconi geht es nicht so sehr um Prodi. Sein Mailänder Auftritt fügte sich in die erneut entfesselte Regierungsoffensive gegen die Justiz. Nach dem Urteil gegen Previti und vor dem Urteil gegen ihn scheint Berlusconi entschlossen, Italiens Politiker endgültig dem Zugriff unbotmäßiger Staatsanwälte zu entziehen. Vor einigen Tagen veröffentlichte er ein Manifest, in dem er darlegte, eine Justiz, die dem Regierungschef den Prozess mache, verfolge eine putschistische Strategie, da sie mit ihren Ermittlungen und Urteilen den Volkswillen konterkariere.

Mehrfach hatte Berlusconi mit Ad-hoc-Gesetzen versucht, diese Prozesse abzuwürgen. Gelungen war ihm dies nur mit der Herabstufung des Delikts Bilanzfälschung zur bloßen Bußgeldsache: Sie brachte den Stopp für drei gegen ihn laufende Verfahren. Dagegen scheiterte das Unterfangen, mit der Komplizierung der Rechtshilfe seitens der Schweiz und mit einer Norm, die bei „legitimem Verdacht“ der Angeklagten die Prozessverlegung in eine andere Stadt ermöglichen sollten, dem laufenden Prozess wegen Richterbestechung den Garaus zu machen.

Berlusconis Regierungsmehrheit will darauf schnell reagieren: Für den Regierungschef, den Staatspräsidenten und die Präsidenten der beiden Häuser des Parlaments soll in Zukunft bis zum Ende ihrer Amtszeit ein genereller Prozess-Stopp gelten, und einfache Abgeordnete sollen wieder in den Genuss der 1993 eingeschränkten parlamentarischen Immunität kommen. Die wurde in Italien jahrzehntelang unter den Christdemokraten und Sozialisten so gut wie nie aufgehoben. Wann immer Staatsanwälte gegen korrupte Politiker ermittelten, hieß es per Beschluss der Regierungsmehrheit, ihnen gehe es um „politische Verfolgung“. MICHAEL BRAUN

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