UN-Sicherheitsrat greift in Haiti ein

Eine US-geführte multinationale Blauhelmtruppe soll in dem Karibikstaat für Sicherheit und Ordnung sorgen, nachdemdie Flucht von Präsident Aristide ein Machtvakuum hinterlassen hat. In Port-au-Prince gab es bereits Tote und Plünderungen

Der RebellenführerGuy Philippe begrüßtdie Entsendungvon US-Truppen

AUS SANTO DOMINGOHANS-ULRICH DILLMANN

Nur wenige Stunden nachdem Haitis Präsident Jean-Bertrand Aristide am Sonntagmorgen überraschend von seinem Amt zurückgetreten und ins Exil gegangen war, sind in der haitianischen Hauptstadt bereits Mitglieder einer kanadischen Spezialeinheit eingetroffen. Sie übernahmen das Kommando über den internationalen Flughafen bei Port-au-Prince. Noch in der Nacht trafen dort die ersten US-Soldaten an Bord von zwei Militärflugzeugen ein.

Unmittelbar zuvor hatte in New York der UN-Sicherheitsrat in einer von Washington und Paris beantragten Dringlichkeitssitzung einstimmig die Entsendung einer multinationalen Truppe nach Haiti beschlossen. Laut Resolution sollen die Blauhelme unter US-Führung „Ruhe und Ordnung“ in dem Karibikstaat wiederherstellen. Die Konfliktparteien werden dazu aufgefordert, die Gewalt zu beenden.

Gemäß der haitianischen Verfassung wurde der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Boniface Alexandre, Interimspräsident. Er hatte die Vereinten Nationen schriftlich um Hilfe ersucht, bei der Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit zu helfen. Das UN-Mandat für die so genannte multinationale Übergangstruppe wurde zunächst auf drei Monate beschränkt. Ihr gehören neben den USA und Kanada auch Militär- und Polizeieinheiten aus Frankreich und der karibischen Staatengemeinschaft (Caricom) an.

Laut US-Außenminister Colin Powell werden die USA rund 1.000 Soldaten entsenden. Aus Frankreichs Karibikinsel Martinique trafen gestern bereits 50 Soldaten in Haiti ein, weitere 150 sollen folgen. 80 Gendarmen sollten noch gestern von Frankreich aus starten.

Über Aristides Schicksal und die Details seines Rücktritts wird weiter gerätselt. Berichten zufolge soll er am frühen Sonntagmorgen von US-Soldaten außer Landes gebracht worden sein. Er trat offenbar vor allem auf Druck der Regierungen in Washington und Paris zurück. Nach einer kleinen Odyssee durch die Karibik traf er inzwischen in der Hauptstadt der zentralafrikanischen Republik, Bangui, ein (siehe Text unten).

In Port-au-Prince spielten sich nach Aristides Abgang dramatische Szenen ab. Mehrmals kam es zu Schusswechseln. Berichten zufolge starben mindestens zehn Personen. Aus mehreren Gebäuden beim Präsidentenpalais stieg schwarzer Rauch auf. Wie schon in den beiden Tagen zuvor, als Aristide noch zur Verteidigung der Hauptstadt gegen die Rebellen aufgerufen hatte, kam es zu Plünderungen.

Im Hafen wurden fast alle Container und Lebensmittellager aufgebrochen und ausgeräumt. Auch kleine Geschäfte blieben nicht verschont. Mehrere Privathäuser wurden überfallen und ausgeraubt, ebenso Polizeistationen, Bankfilialen, Apotheken, Supermärkte und Außenstellen der Steuerbehörde. Aus dem Gefängnis wurden Gefangene befreit.

Anhänger von Aristide feuerten in die Menschenmenge. Vor allem im Zentrum der Hauptstadt bot sich ein Bild der Zerstörung. Erst gegen Abend tauchten in den Straßen wieder Polizisten auf und versuchten gegen Plünderer vorzugehen. Gestern schien sich die Lage wieder zu beruhigen. In Port-au-Prince, wo nachts formal eine Ausgangssperre gilt, sind inzwischen auch erste Mitglieder der bewaffneten „Front zur Befreiung und des nationalen Wiederaufbaus“ eingetroffen. Sie wollten sich daran beteiligen, die Sicherheit wieder herzustellen, sagte ein Mitglied.

In Cap Haïtien begrüßte der Militärchef der Front, Guy Philippe, die Entsendung von US-Truppen. Seine Gruppe werde nicht weiterkämpfen, wenn Sicherheit und Ordnung garantiert seien. Seine persönliche Zukunft machte Philippe von der weiteren Entwicklung abhängig. Gegenüber dem dominikanischen Nachrichtensender „Cadena de Noticia“ betonte der 36-Jährige, er wolle sich wieder in das Zivilleben eingliedern. Dabei interessiere ihn eine Aufgabe bei den Sicherheitsbehörden. Mitglieder der „Befreiungsfront“ sollten die Basis einer neu aufzubauenden Armee werden, so Philippe.

Noch am gestrigen Vormittag zog der Rebellenchef unter dem Jubel hunderter Menschen mit mehr als 70 Rebellen in einen Vorort von Port-au-Prince ein.

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