Stolpe siegt beim Mautpoker

Ist das die Wende bei der Maut? Die neue Einigung zwischen Regierung und Industrie ist ein Erfolg der Verhandlungsstrategie des Verkehrsministers

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Da saß er nun, der Verkehrsminister, rechts am Rande des Podiums und hörte sich an, was der Kanzler und die Topmanager zu verkünden hatten. Manfred Stolpe war nur Dekoration auf dieser Pressekonferenz im Kanzleramt, zur ungewöhnlichen Zeit, sonntagabends um neun Uhr. Es sprachen die Chefs: sein Chef Gerhard Schröder, DaimlerChryslers Chef Jürgen Schrempp und der Chef der Telekom, Kai-Uwe Ricke.

Und doch war es Stolpes Tag. Entspannt konnte er am Rand den Entschuldigungen der Manager lauschen. Toll Collect habe sich „schwerer getan, als wir alle erwartet haben, und dieses war sicherlich teilweise enttäuschend“, gestand Schrempp. „Sie alle wissen“, ergänzte Ricke, „dass das Projekt Toll Collect nicht rund gelaufen ist, ganz im Gegenteil.“ Das muss Stolpe gut getan haben, denn bislang waren die Chefs immer auf Tauschstation geblieben, Toll Collect war merkwürdig gesichtslos. Und es war Stolpe, der seines dafür ständig hinhalten musste.

Geduldig zuerst, dann ultimativ, schließlich per Kündigung. So erreichte der Verkehrsminister am Ende fast alles, was er wollte. Das Konsortium ging auf alle drei Kernforderungen ein: Toll Collect erhöhte seine Haftungsgarantien, ab 2006 verspricht es nun gar vollen Schadenersatz. Es verzichtete auf eine Ausstiegsklausel, falls die Maut nicht gelingt, und es garantiert weiterhin eine 99-prozentige Genauigkeit seiner Lkw-Erfassung. Wegen dieser drei Probleme hatte Stolpe Mitte Februar gekündigt. Dafür akzeptiert die Regierung den neuen Zeitplan. Eine abgespeckte Version des Bordcomputers (Obu) kassiert ab 1. Januar 2005 die Maut. Das volle System startet Januar 2006.

Allein in einem Punkt gibt es noch keine Einigung: der Höhe des Schadenersatzes für die Verschiebung des Starts bis 2005. Die Bundesregierung will möglichst eine volle Kompensation der 2,2 Milliarden Euro, die dieses Jahr im Haushalt fehlen, sowie der 600 Millionen aus dem letzten Jahr. Konsortium und Regierung einigten sich auf ein Schiedsgerichtsverfahren, das bald beginnen soll. Rund eine Milliarde sollte dabei mindestens dem Bund zugeschlagen werden, spekuliert Stolpe. Die andere Hälfte der Einnahmeausfälle will Eichel zur Not durch eine Kreditrückzahlung der Bahn ausgleichen.

Toll Collect hat den Neustart des Projekts auch strukturell unterstrichen. DaimlerChrysler, unter dessen Führung sich Toll Collect ins Debakel pfuschte, gibt die Systemführerschaft an die Telekom-Tochter T-Systems ab. Zusätzlich wird Siemens die „technische Projektkoordination“ für die endgültige Version des Obu (Obu-2) übernehmen, der, im Lkw montiert, die Maut automatisch abbuchen soll – und Symbol für das bisherige Scheitern geworden ist. Allerdings wird Siemens nicht ins Konsortium eintreten.

Telekom-Chef Ricke war es denn auch, der die wichtigsten Fakten nannte. Lange hat sein Unternehmen zugeschaut, während DaimlerChrysler Fehler um Fehler machte – und auch dem Ansehen der Telekom schadete. Nun nimmt Ricke das Heft in Hand – und überträgt seinem Kollegen Konrad Reiss den Aufsichtsratsvorsitz bei Toll Collect. Reiss ist Chef von T-Systems.

Selbst der grüne Verkehrspolitiker Albert Schmidt, der lange die Geduld des Verkehrsministers kritisiert hatte, war gestern zufrieden mit dem Ergebnis. „Das, was nun verabredet worden ist, entspricht eigentlich zu nahezu 100 Prozent dem, was der Bund von Anfang an wollte.“ Dass Stolpe diesen Sieg nicht persönlich verkünden durfte, sondern dem Kanzler den Vortritt lassen musste, gehört zu den Riten unserer Gesellschaft. Nachdem Stolpe mit den Spitzen von Toll Collect vergeblich verhandelt hatte, hätte die Konzernchefs einen Geringeren als den Kanzler schon aus Prestigedenken nicht akzeptiert. Ricke immerhin blieb so ehrlich, dem Minister „von dieser Stelle ausdrücklich“ zu „danken“. Trotz des Dissenses seien die Gespräche „stets konstruktiv und auch vertrauensvoll“ geblieben.

Tatsächlich waren die Chefs erst am Sonntagabend eingeflogen worden. Da verhandelten die Fachleute bereits zweieinhalb Tage im Berliner Kanzleramt. Nur ein Punkt war bis zum Schluss strittig geblieben: Für den Fall, dass die erste Light-Version des Bordcomputers (Obu-1) nicht bis 2005 fertig sein und sich auch die Arbeit an der Vollversion (Obu-2) verzögern sollte, verlangte die Regierung das Recht, ab Juni 2005 parallel eine neue Ausschreibung der Lkw-Maut einzuleiten, um im Fall des endgültigen Scheiterns nicht zu viel Zeit zu verlieren. Ricke und Schrempp stimmten schießlich am Sonntagabend gegen sieben Uhr auch diesem zusätzlichen Knebel zu.

Ein Scheitern wäre nicht nur für Stolpe eine Katastrophe gewesen. Denn 36 Monate hätte es gedauert, bis eine neue Ausschreibung zu einem neuen Mautsystem geführt hätte. In dieser Zeit wären dem Steuerzahler noch einmal mehr als 6 Milliarden Euro durch ausgefallene Mauteinnahmen verloren gegangen. Deshalb dürfte Stolpe die ganze Zeit auf ein Einlenken gehofft haben. Zu Recht. Die Lkw-Maut war auch für die Industrie zu groß geworden, um noch scheitern zu dürfen.