Aufschwung mit links

Ole von Beust hat das geschafft, was CDU-Chefin Merkel längst gefordert hat: Er hat Stammwähler gehalten und im liberalen Milieu dazugewonnen

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Schwul, liberal, weltoffen. Dass ausgerechnet ein Mann mit diesem Image der christdemokratische Star der Stunde ist, dass ausgerechnet Ole von Beust den höchsten Stimmenzuwachs für die CDU in der Geschichte einfahren konnte, lässt die Liberalen in der Union euphorisch werden. „Das Hamburger Ergebnis zeigt, dass man mit dezidiert liberalen Positionen in der Tat Wahlen gewinnen kann“, sagt einer aus der Bundestagsfraktion, der dies schon immer hoffte, aber bis zum Sonntag offenbar kaum für möglich hielt. Nun glaubt er: „Dieser Triumph wird auch andere beflügeln.“

Es läuft gut für all jene, die nach der Niederlage bei der letzten Bundestagswahl befanden, die CDU müsse sich modernisieren, um in ihren traditionellen Defizitbereichen (Großstadtwähler, Jugend, Frauen!) attraktiv zu werden. Die erkannten, dass die Union nur dann wieder mehrheitsfähig werden kann, wenn es ihr gelingt, in schwierige Milieus vorzudringen. Eine von diesen Unionspolitikern, die in der Nachwahldepression 2002 eine „zukunftsgewandte“ Haltung einforderten, war die Parteivorsitzende selbst. Damals stieß Angela Merkel auf vehementen Widerstand. Der rechte Flügel der Union spürte, was Merkel mit ihren Zukunftsvisionen meinte. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm warnte umgehend, die CDU dürfe „nicht nur dem Zeitgeist nachjagen“ und „ihr Tafelsilber nicht verscherbeln“. Nicht nur Exgeneral Schönbohm war sich sicher: „Wenn die CDU linksliberale Themen besetzt, werden sich konservative Wähler andere Vertreter suchen.“ Und heute? Heute bedankt sich Schönbohm für die „gute Vorlage“ aus Hamburg und hofft, den Rückenwind zu nutzen, um im September selbst Ministerpräsident zu werden. Kritik an Beust? Natürlich Fehlanzeige.

Dabei hatte Beust genau das getan, was Merkel einst gefordert hatte – nämlich „moderne Großstadtpolitik“ betrieben, wie CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer erfreut konstatierte. Zu diesem Zweck hat Beust gleich mehrere Tabus gebrochen. Ob Zuwanderung oder EU-Beitritt der Türkei: Mitten im Wahlkampf gab sich Beust für Unionsverhältnisse sehr liberal. So liberal, dass nicht einmal die Grünen mehr ausschließen wollten, mit der CDU zu koalieren.

Was die Parteistrategen in der CDU-Zentrale vor allem begeistert, ist jedoch nicht so sehr Beusts liberale Haltung. Es ist die Tatsache, dass er im rot-grünen Terrain gewildert, gleichzeitig aber die Stammwähler gehalten und auch noch die ehemaligen Schill-Anhänger eingefangen hat. Ein nahezu perfekter Erfolg in allen Lagern. Rechts und links gewonnen – was will man mehr? Es ist chic, CDU zu wählen, jubelt Meyer. Für den Parteienforscher Joachim Raschke gibt es gar „eine historische Chance für die Union“. Sie könne nun „zeigen, ob sie in Norddeutschland liberale Großstadtpolitik machen kann“. Und Parteichefin Merkel nutzt die Gunst der Stunde. Natürlich weiß sie, dass Beusts Erfolg in dieser Höhe nur durch die Schwäche der Konkurrenz ermöglicht wurde. Trotzdem erinnert Merkel nicht zufällig gerade jetzt daran, was sie 2002 sagte und freut sich: „Wir können auch in Großstädten gewinnen.“ Dies sei „ein ganz wichtiges Signal für uns“. Beusts Sieg zeige, „dass sich Mut in der Politik lohnt“. Ja mehr noch: „Als Botschaft für die Bundespartei“, die sich aus Hamburg ergebe, propagiert Merkel „Mut zu inhaltlichen Veränderungen“.

Sie selbst hat diesen Mut längst bewiesen – bei den anvisierten Sozialreformen. In der Einwanderungs- und EU-Politik fährt Merkel eine andere Linie. Die Chefin selbst gibt sich, insbesondere was die Aufnahme der Türkei angeht, nach außen hin knallhart, pflegt die angestammte Klientel, hält sich aber stets ein Hintertürchen offen. Wenn es nicht anders geht, wäre Merkel wohl auch bereit, den EU-Beitritt hinzunehmen. Oder moderneren Zuwanderungsregeln zuzustimmen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bis dahin dürfen Leute wie Beust abtasten, wie weit die Union mit ihrer Modernisierungsoffensive gehen kann. Merkel, das zeigt ihr Lob für Beusts Mut, hat offenkundig nichts dagegen, wenn sie dabei immer wieder von der offiziellen Linie abweichen. Im Gegenteil. Irgendwann könnte es dann auch ihre Linie werden.

Der Terminplan dieses Jahres will es, dass nach Beust weitere Christdemokraten Erfolge feiern werden, die für dieses Experiment geeignet sind, die nicht unbedingt persönlich, aber inhaltlich zum Merkel-Lager zählen. Im Juni dürfte Dieter Althaus die absolute Mehrheit in Thüringen ausbauen. Alles spricht dafür, dass im September auch Peter Müller im Saarland an der Macht bleibt. Den krönenden Abschluss bildet die nordrhein-westfälische Kommunalwahl. Dort regiert die CDU schon jetzt in Köln mit den Grünen. Dort soll der wichtigste Merkel-Verbündete Jürgen Rüttgers bei der Landtagswahl 2005 den Weg bereiten für den Machtwechsel in Berlin. Es spricht nichts dafür, dass Rüttgers aus Hamburg die Lehre zieht, auf Schönbohms Warnungen zu hören. Er wird lieber dem Zeitgeist folgen. Und der klingt schwarz-grün.