Alte Rezepte für den Neubeginn

Die USA tun sich schwer mit dem politischen Aufbau. Wenn lokale Proporzlösungen politischer Kern des neuen Irak sein sollen, verheißt das nichts Gutes

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

Die erfolgreiche militärische Operation „Irakische Freiheit“ hat in den letzten Wochen der weit weniger rühmlichen „Operation Chaos“ Platz gemacht. Nun stellt sich die Frage, wer die neue chaotische irakische Freiheit politisch verwalten soll. Der amerikanische Militärgouverneur Jay Garner verspricht die baldige Auflösung des Rätsels. Bis Mitte des Monats soll sich, so sagt der pensionierte US-General, der „Beginn des Kerns einer irakischen Übergangsregierung herausbilden“.

Doch noch kämpfen die Amerikaner mit den einfacheren Übungen, der Schaffung von Sicherheit und dem Wiederherstellen rudimentärer staatlicher Dienstleistungen. Er wolle nun doch, dass es endlich wieder ein irakisches Fernsehen gebe, stachelte Kolonialverwalter Garner seine Leute an. Der versprochene politische Neubeginn dürfte sich als wesentlich komplizierter erweisen. Wer im neuen Irak Politik machen will, steht heute vor einem Dilemma: Alle Vertreter einer neuen irakischen Regierung müssen mit den US-Truppen im Land kooperieren, gleichzeitig verlieren sie aber bei einer Zusammenarbeit mit den „Besatzern“ in den Augen der meisten Iraker ihr Ansehen. Bisher hat noch niemand einen Ausweg aus dieser Misere gefunden.

Auf der kleinen lokalen Ebene versuchen es die Amerikaner und Briten nun mit altbewährten Kolonialrezepten. Man mische ein paar Stammesfürsten in rassischem und religiösem Proporz und nenne das Ganze dann „repräsentativ“. Wenn solche Konstrukte den politischen Kern des neuen Irak darstellen, bedeutet das nichts Gutes für die Zukunft des religiös und ethnisch explosiven Landes, das gerade diese Strukturen überwinden sollte.

Ironischerweise steckt in der schiitischen wie sunnitischen, christlichen oder kurdischen Skepsis gegenüber den amerikanischen Eroberern ein Element der Einheit und Nationenbildung. „Sind die Amerikaner befreiende Besatzer oder besetzende Befreier?“, lautet derzeit die mesopotamische Frage. Für die meisten Iraker werden die beiden „B“ nur unterschiedlich akzentuiert. Sie sind froh, den Despoten Saddam Hussein losgeworden zu sein, fürchten aber, dass ihr Land zum ersten neokolonialen Modellprojekt des 21. Jahrhunderts werden könnte.

Die meisten irakischen politischen Gruppierungen, einschließlich der von den Amerikanern gefürchteten schiitischen Geistlichkeit, gehen mit dieser Situation überraschend pragmatisch um. Die Amerikaner mögen als die neuen Herrscher des Landes unbeliebt sein, jeder Widerstand gegen sie ist aber derzeit aufgeschoben, wenngleich nicht aufgehoben. Selbst radikale Scheichs, die vom islamischen Staat träumen, räumen derzeit ein, dass die Amerikaner als einzige Macht im Land für Stabilität sorgen können. „Die US-Truppen müssen jetzt in ihre Verantwortung genommen werden, und später überlegen wir uns, wie wir mit den Besatzern umgehen, wenn sie tatsächlich bleiben sollten“, ist ein im Irak allerorten zu hörendes Argument. Abgesehen von Spannungen, die auf lokaler Ebene ausbrechen können, wie beispielsweise letzte Woche in Feludscha, ist es daher relativ ruhig geblieben. Ein Wunder angesichts der Tatsache, dass fast jeder Iraker bewaffnet ist und dass es für einige Gruppierungen kein Problem wäre, jeden Tag ein halbes Dutzend Selbstmordanschläge auf die „ungläubigen Besatzungstruppen“ zu befehlen. Kein Widerstand gegen die US-Truppen, aber auch keine Verbrüderung mit ihnen, lautet die weitverbreitete Strategie. Offen bleibt allerdings, wie lange diese „Flitterwochen der Besatzung“, andauern werden.

Eines ist bereits jetzt klar. Der amerikanische Bräutigam fühlte sich sichtlich wohler in der Uniform des Eroberers als im Anzug des Kolonialverwalters. „Es könnte sein, dass wir wie Besatzer aussehen, aber das ist nicht unsere Absicht“, formuliert ein Sprecher der US-Truppen im Norden des Irak sein ungutes Gefühl.

Washington versucht unterdessen sein nicht vorhandenes Post-Saddam-Konzept mit den üblichen Marketing-Worthülsen zu übertünchen. „Es handelt sich da nicht um ein einmaliges Ereignis, sondern eine Reise“, dichtete beispielweise letzte Woche ein US-Offizieller gegenüber Journalisten in Bagdad, die endlich auf ein wenig Konkretes gehofft hatten.

Barbara Bodin, ehemalige US-Botschafterin im Jemen und heute in der US-Militärverwaltung des Irak für internationale Hilfsorganisationen zuständig, machte letzte Woche in einer Rede in Bagdad die Iraker politisch korrekt zu „wichtigen Mitspielern“ im Wiederaufbau ihres Landes, in dem nichts vorangehen werde, „ohne die Iraker an der Konversation zu beteiligen“. Man wolle das Land diesmal nicht von oben nach unten, sondern andersherum aufbauen, verkündete sie von ihrem hohen Podium aus. Zumindest am Ende sorgte sie dann aber doch noch für halbwegs klare Verhältnisse. Was politische und hohe Verwaltungspositionen und Besitz im neuen Irak angehe, stellte sie eindeutig fest, so gebe es im Moment „nur eine einzige Autorität – die Truppen der Koalition“.