Kanzler am Abgrund: Vorwärts!

Gerhard Schröder bedauert die Hamburger Wahlniederlage, will sein Reformkonzept aber unverändert lassen. Nur dem Volk soll es besser erklärt werden. SPD-Präsidium stützt den Kanzler

BERLIN taz ■ Entschlossen, aber ohne eine neue Idee – so reagierte Gerhard Schröder, Bundeskanzler und noch amtierender SPD-Vorsitzender, auf das schlechteste Wahlergebnis seiner Partei in der hamburgischen Nachkriegsgeschichte. Das SPD-Ergebnis nannte Schröder zwar „schmerzlich“. Er gab aber gleichzeitig die Losung aus, den „Reformkurs fortzusetzen“ – wenn auch mit einem Zusatz: „Wir werden ihn noch sorgfältiger erklären müssen.“

Schröders Strategie für die kommenden Wahlen besteht offenbar darin, sich und die ganze Partei an Franz Müntefering als einzigen Hoffnungsträger zu klammern. In der letzten Phase des Hamburger Wahlkampfs habe die Nominierung des SPD-Fraktionschefs zum neuen Parteivorsitzenden einen Mobilisierungsschub gebracht, sagte der Kanzler. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz sprach davon, dass der Wechsel sich schon in Hamburg „positiv auf den Kampfesmut der Genossen“ ausgewirkt habe. „Wir wollen besser werden“, sagte Scholz mit Blick auf die Europa- und die Landtagswahl in Thüringen am 13. Juni.

Nach Angaben von Scholz hat in der gestrigen SPD-Präsidiumssitzung kein Einziger eine Änderung des Reformkurses gefordert. Die Parteilinke Andrea Nahles, Mitglied des Präsidiums, sagte, die Reformagenda sei „im Kasten“. Es werde nun keinen „zweiten Aufschlag“ geben, sondern einen „Politikmix, der sozial besser ausbalanciert ist“. Dazu zählen unter anderem die Erbschaftsteuer und die Ausbildungsplatzabgabe.

Einer der letzten Trümpfe, die der Bundeskanzler in der Hand hält, ist der Austausch mehrerer Minister seiner Regierung. Über eine solche Kabinettsumbildung wird seit Wochen spekuliert, aber auch am Montag gab es keinen ernsthaften Hinweis darauf, dass sie in den nächsten Tagen vollzogen werden könnte. Aufgeregte Spekulationen hatte Schröder gestern mit einem einzigen Satz ausgelöst. Er dankte dem Hamburger SPD-Wahlverlierer Thomas Mirow für seinen Einsatz und äußerte die Erwartung, dass er mit Mirow auch künftig zusammenarbeiten werde, „in welcher Funktion auch immer“.

Der SPD-Spitzenkandidat hatte nach der Wahlniederlage angekündigt, er werde sich aus der Hamburger Politik zurückziehen. In Anspielung auf die Pläne des früheren Innensenators Ronald Schill sagte Mirow gestern in Berlin, er werde sicher nicht nach Südamerika auswandern. Er stehe vielmehr weiter der SPD zur Verfügung. Regierungssprecher Béla Anda dementierte eine Kabinettsumbildung noch einmal offiziell: „Hier gilt das Kanzlerwort“, sagte Anda. „Jeder bleibt an seinem Platz.“

JENS KÖNIG

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