Ab heute sind wir asozial

Alle Parteien wollen Sozialabbau. Union legt eigenes Konzept vor. Grüne und SPD freuen sich über Einlenken auf Regierungskurs. Koalition setzt auf eigene Mehrheit für Schröders Agenda 2010

BERLIN dpa/afp/taz ■ Im Streit um die Sozialreformen hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gestern neue Verbündete gewonnen. Der Kanzler sei zu Gesprächen mit CDU und CSU bereit, nachdem es bei den Unionsparteien eine „erfreuliche Hinwendung“ zur Übernahme von mehr Verantwortung gebe, sagte Regierungssprecher Béla Anda. Auch eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wertete die Unionsbeschlüsse als „starke Annäherung“ an die rot-grüne Politik.

Die Parteichefs Angela Merkel und Edmund Stoiber hatten am Vomittag ein eigenes Reformkonzept vorgestellt. In dem gemeinsamen Programm, das die Spitzen von CDU und CSU am Sonntagabend ohne Gegenstimme verabschiedet hatten, sind massive Abstriche bei Arbeitslosengeld, Kündigungsschutz und Sozialhilfe vorgesehen. Sie sind in der Summe härter als von der SPD-Führung geplant. Damit schwenkte die CDU in vielen Bereichen auf den vor allem bei ostdeutschen Christdemokraten umstrittenen „Sanierungsplan“ Stoibers ein.

Kurz vor der zweiten SPD-Regionalkonferenz, die gestern Abend in Nürnberg geplant war, bemühte sich Generalsekretär Olaf Scholz darum, der eigenen Basis auch diese Unterschiede zur Union deutlich zu machen. Was etwa den Kündigungsschutz angehe, mangele es den Vorschlägen von Stoiber und Merkel an „sozialer Sensibilität“, sagte Scholz. SPD und Grüne planen zwar ebenfalls eine Lockerung der bisherigen Schutzbestimmungen, wollen aber grundsätzlich am Kündigungsschutz in allen Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern festhalten. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer nannte die Vorschläge der CDU/CSU einen „halben Versuch“, da viele Themen noch ausgespart blieben.

Sowohl Scholz wie Bütikofer spielten Berichte herunter, wonach sich weitere Abgeordnete von SPD und Grünen gegen die Reformagenda Schröders gestellt haben. Nach Angaben der Grünen-Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk soll es sich um mindestens 8 Parlamentarier der Grünen und 20 SPD-Abgeordnete handeln. Scholz sagte, er sei „ganz sicher“, dass es nach entsprechenden Beschlüssen auf den geplanten Sonderparteitagen von SPD und Grünen „eine eigene Mehrheit der Koalitionsparteien geben wird“. Am heutigen Dienstag will sich Schröder mit DGB-Chef Michael Sommer zum Frühstück treffen, um seinen Konflikt mit den Gewerkschaften zu entschärfen. RAB

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