Erweitertes Verständnis

Von lyrischem Wohlklang zum Vokabular der Avantgarde: Der Saxophonist Frank Gratkowski mit seinem Quartett im Birdland

von TOBIAS RICHTSTEIG

Hamburger Jazz-Fans können sich auf ein besonderes Konzert freuen. Heute Abend kommt der Saxophonist Frank Gratkowski mit seinem Quartett ins Birdland. Und in dessen Programm zwischen dem mainstreamigen HardBop von Wolfgang Schlüter (der am 2. Mai spielte) und der expressiven Power-Avantgarde von Jens Thomas und Christoph Lauer, die am Sonnabend, 10. Mai, ihre neue CD Pure Joy vorstellen, beziehungsweise dem virtuosen Fusion-Jazz von Jeff Berlin (am 21. Mai), ist Gratkowski mit seinem Quartett goldrichtig angesiedelt.

Der Saxophonist hat sich in den vergangenen 15 Jahren international einen Namen gemacht, angefangen in der Fusion/Prollrock-Formation Franck Band (die in letzter Zeit auch mit Anke Engelke zusammenarbeitet), über akademisch viel beachtete Projekte mit dem Klaus König Orchestra bis hin zu zahllosen Aufnahmen und Konzerten mit Kollegen wie Herb Robertson, Georg Gräwe oder Ray Anderson, und seit 1995 mit seinem Trio, zu dem der Schlagzeuger Gerry Hemingway und der Bassist Dieter Manderscheid gehören. Googelt man Gratkowkis Namen im Internet, so erhält man begeisterte Konzert- und Plattenkritiken aus der ganzen Welt, selbst New Yorks Knitting Factory ist stolz darauf, den europäischen Holzbläser zu Gast gehabt zu haben.

Der gute Ruf kommt nicht von ungefähr. Gratkowski, ursprünglich aus Hamburg, besuchte hier schon als 16-Jähriger die Musikhochschule und schloss sein Studium 1990 in Köln ab. Nebenbei nahm er Unterricht bei Charlie Mariano, Sal Nistico und Steve Lacy. Auf Sopran- und Altsaxophon, Klarinette und Flöte hat er sich so eine umfassende Virtuosität angeeignet, die er in den Dienst eines erweiterten Klang- und Kompositionsverständnisses stellt.

Von lyrischem Wohlklang wechselt er zu mehrstimmigen Spaltklängen, dekonstruiert mit Anblas- und Klappengeräuschen seine chromblitzenden Instrumente, baut sie auseinander und spielt auch ohne Mundstück überzeugend melodiöse Improvisationen. Der Jazzpublizist Peter Niklas Wilson betont, dass Gratkowski nicht nur das Klangvokabular der Avantgarde beherrscht, sondern auch „dieses sonore Universum überaus konzentriert und konsequent zu organisieren versteht“.

Dieter Manderscheid am Bass und den New Yorker Drummer Hemingway lernte Gratkowski bei der gemeinsamen Arbeit im Grubenklang Orchester und Klaus König Orchester kennen. Schnell zeigte sich, dass man eine gemeinsame Kragenweite im zeitgenössischen, intelligent und expressiv zupackenden Jazz mit hohen Freiheitsgraden trägt. Man fand sich zum Trio, einer Traumbesetzung für Gratkowski. Schließlich lud sich der beweglich agierende Holzbläser noch einen zweiten Frontmann ein, und so gehört Wolter Wierbos seit drei Jahren zum Quartett. Der niederländische Posaunist ist ebenfalls beiderseits des Atlantiks einschlägig bekannt und gehörte 1988 zu Cecil Taylors European Big Band genauso wie seit 1990 zum Gerry Hemingway Quintet. Neben über 70 CD-Produktionen ist er auch gemeinsam mit dem Cellisten Ernst Reijseger bei Konzerten für Kinder zu hören.

Auf dem neuen Album des Quartetts, Spectral Reflections, das in der vergangenen Woche erschien, versucht der Bandleader Gratkowski „eine Synthese von Komposition und Improvisation zu schaffen, in der alle Instrumente eine gleichberechtigte Funktion einnehmen und ein in sich geschlossenes Ganzes bilden“. Dass dieser Anspruch nicht bloß eine akademische Marketingbehauptung ist, wird das Frank Gratkowski Quartett im Birdland zeigen: Durchaus groove-betont geht Gratkowskis Musik nach vorne los und überzeugt als spontanes Spiel zeitgenössischer Jazzer.

heute, 21 Uhr, Birdland