The first fist is the deepest

Gewollt tabulos: Die Ausstellung „Zeichnung“ im Schwulen Museum lässt zwischen Rein und Raus einen roten Faden vermissen und wirkt in ihrer Fixierung auf das Erregungsmoment beinahe bieder

VON JÖRG SUNDERMEIER

Die neue Ausstellung im Schwulen Museum heißt „Zeichnung“. Einfach, schlicht, klar, präzise. Der Titel soll nicht täuschen: Es geht nicht um Zeichen und ums Gezeichnetsein, es geht weder um Signifikat noch um Signifikanten, es soll hier um nichts als Zeichnungen von schwulen Künstlern gehen. Wenn aber Zeichnungen das Thema sind, also Bleistift oder Edding und Papier, dann erwartet man Handwerk. Und neben dem Handwerk selbstredend eine tragende Idee.

Von solchen Ideen aber ist wenig zu finden – einige Arbeiten sind restlos dem Phallischen verpflichtet, schön das, durchaus gut gemacht, doch sucht man nach einer Idee hinter dem Bild oder Bildzyklus, einer Idee, die über das Stilisierende und Manieristische hinausgeht.

Man sucht oft vergebens. Der kleinste Raum des Museums zeigt romantische Arbeiten, Verschwommenes auf effekthascherisch bearbeitetem Papier oder Beischlaffantasien von Liebe und Tod. Denen wären die Arbeiten von Marc Brandenburg oder Bas Meerman im hinteren Raum entgegenzusetzen: Meerman bedient, während er fast ausschließlich Pornosujets zeigt, die Ästhetik von Modemagazinen. Seine Bilder sind zu bunt, die Kolorierungen zu flächig, einige sind zu fleckig, alle sind zu geil.

Eine derartige Übertreibung sorgt dafür, dass man hinter den Pornobildern das sucht, was man schlicht „das Zwischenmenschliche“ nennt. Meerman jedoch zeigt nur das Mechanische, das allem Rein-Raus, allem Gelutsche und Gestoße zugrunde liegt. Dass er Bildausschnitte wählen kann, die, weil sie die Details verbergen, gerade diese Details betonen, beweist, wie sehr diese Pornobilder inzwischen vorauszusetzen sind.

Marc Brandenburg hingegen hat seine Zeichnungen in durchsichtige Sticker umgewandelt, die er wie wahllos auf ein Fenster geklebt hat, dahinter sieht man den Hof des Museums. So bekommen die Bilder über den – nennen wir es mal so – Begehrensalltag etwas Jugendzimmerhaftes, die Bilder selbst zeigen nicht mehr die Sehnsüchte. Erst ihre Präsentation, ihre, in mehrfacher Hinsicht, Durchschaubarkeit weist auf das Begehren dahinter hin.

Piotr Nathan zeigt ebenfalls Pornobilder, er benutzt nur den Bleistift, seine Bilder leben noch stärker als die Beermans von Auslassungen. Heinz Emmigholz stellt Fotoprints aus, die sehr nach am Computer bearbeiteten Zeichnungen aussehen. Hier gibt es keinen Strich mehr – ein Gewimmel, in dem nichts heraussticht und in dem sich, nun ja, das Elend des technisierten Menschen widerspiegelt. Ueli Etter zeigt Hermaphroditenbilder, fast kindlich gezeichnet: romantische Buntstiftkunst.

Wolfgang Müller hingegen hat das Leben des Goethe-Enkels Walther von Goethe gezeichnet, der als Autor wie als Komponist versagte und seine Homosexualität verbergen musste. Ergänzt werden die Zeichnungen von einer Installation, die des alten Goethes Buch zur Metamorphose der Pflanzen und zudem mehrere so genannte Goethepflanzen ausstellt. Die Goethepflanze bildet ihre Ableger am Blattrand: Das Seltsame macht ihren Reiz aus – doch genau das, was bei den Pflanzen untersuchenswert ist, die Natur, musste beim Enkel tunlichst unterdrückt werden.

Sex als Ware

Insgesamt fehlt der Ausstellung der rote Faden. Sie zeigt Zeichner von sehr unterschiedlichem technischem Vermögen, und am Ende bleibt die Frage: Geht es hier ums Ficken oder um Sexualität an sich? Gibt es so etwas die schwule Zeichnung? „Die Themenvielfalt ist Programm“, heißt es etwas hilflos im Ankündigungstext. Die Gegenständlichkeit der Zeichnungen ist bis auf wenige Ausnahmen eher konservativ, in ihrer Fixiertheit auf das sexuelle Erregungsmoment beinahe bieder.

Lediglich ein Künstler, Jean Ulrick Désert, der mit Transparentpapier arbeitet und romantische Liebes- und Lustbilder vor einer merkwürdigen, ein bisschen an Bildteppiche erinnernden asiatischen Kulisse präsentiert, wird, viel stärker noch als Müller, zu einem Kritiker der Ausstellung in der Ausstellung. Seine Bilder, die zunächst Sehnsuchtsbilder zu sein scheinen, reden von Prostitution: Sex als Ware, nicht nur als Arbeit, nicht nur als Vergnügen. Während bei anderen Bildern noch mit Pornoklischees oder Darkroom-Assoziationen über das Mechanische geredet wird oder mit Jugendstil-Verklärungen das Romantische der Sexualität herausgekehrt wird, geht es hier um nichts als Geld. Das ist leider das einzige Tabu, an dem in dieser zu gewollt tabulosen Ausstellung gerührt wird.

„Zeichnung“. Schwules Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg, 25. Februar bis 31. Mai