Auswandern nach Amerika

Stefan Effmert, 16, pendelt jeden Morgen von Reichenbach nach Görlitz. Mit Polen verbindet ihn nicht sehr viel, außer dem Einkauf im Supermarkt

Stefan Effmert, 16 Jahre alt, hat es nicht leicht im Leben. Sein Taschengeld beträgt nur 5 Euro pro Woche. Doch selbst wenn er mehr hätte, bliebe ihm nicht viel Zeit, es auszugeben. Denn Stefan Effmert wohnt in Reichenbach, einer kleinen Stadt, 12 Kilometer von Görlitz und der polnischen Grenze entfernt. In Görlitz geht er auch zur Schule, und zwar zur Europaschule.

Um den Bus um 6.30 Uhr zu erreichen, muss Stefan schon um 5.30 Uhr aufstehen, deshalb geht er abends bereits um 20.30 Uhr ins Bett. Die Schule bestimmt den Rhythmus von Stefans Leben. Die Schule war es auch, in der er seine ersten Begegnungen mit Polen hatte. Derzeit gibt es in seiner Klasse zwei Polinnen. „Die sind auch nicht anders als die Deutschen, ganz normale Menschen. Vielleicht sind sie ein bisschen ruhiger, sitzen in der Ecke, als ob sie bitten würden: ‚Lassen Sie mich in Ruhe, falls ich was Falsches sage.‘ In solchen Momenten habe ich das Gefühl, dass zwischen den Polen und den Deutschen eine Barrikade steht. Ich frage mich, ob ich sie ansprechen soll, ob sie überhaupt verstehen, was ich sage.“

Stefan hat bemerkt, dass die Polen sich wegen der Sprache ein bisschen unsicher fühlen und deshalb leise sprechen. Dann versteht man sie wirklich nicht. Erst wenn sie laut sprechen, stellt sich heraus, dass sie sehr gut Deutsch können.

Gemeinsam mit den beiden anderen kam noch eine dritte Polin in Stefans Klasse. Sie hieß Kasia und ist schon nach ein paar Monaten wieder in ihre Heimatstadt Jelenia Góra zurückgegangen. Görlitz, die neue Schule, die fremde Sprache waren ihr einfach zu viel. Mit Kasia schreibt sich Stefan manchmal E-Mails.

Sonst hat Stefan wenig mit Polen zu tun. Ab und zu fährt er mit seinen Eltern nach Zgorzelec in den Supermarkt Real, um Brot, Fleisch, Käse, Getränke zu kaufen. Weiter nach Polen ist er eigentlich nur einmal gefahren, in das Dorf, in dem seine Oma vor dem Krieg gewohnt hatte. Aber bei dieser Reise war Stefan noch ein kleines Kind.

Was wird ihm die Zukunft bringen? Weder er noch seine Eltern (Mutter: Verkäuferin, Vater: Fensterbauer) machen sich irgendwelche Hoffnungen im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union. „Man fürchtet nur, dass es noch weniger Arbeit geben wird. Sonst interessiert die Erweiterung keinen“, ist er überzeugt.

Stefan rechnet nicht damit, dass er in Reichenbach oder der Umgebung ein Praktikum oder gar eine Arbeit finden wird. Deswegen, glaubt er, wird er weggehen müssen. Sein Wunsch ist eine Ausbildung im Bereich Computer und Mediengestaltung. Zum Glück hat Stefan einen Onkel im Westen, der Chef in einer großen Firma ist. Der wird ihm helfen, sagt Stefan, hoffentlich.

Und danach? „Später möchte ich einmal nach Amerika auswandern. Dort haben alle eine Chance.“