Es hat nicht geklappt

Sucht euch Kooperationspartner, rufen deutsche und polnische Politiker ihren Unternehmern zu. Stanisław Schwierzchowski und Helmut Goltz haben es versucht. Doch sie sind gescheitert, jetzt wirtschaftet wieder jeder für sich

von NICK REIMER

Der Chef schiebt eine ruhige Kugel. Das ist natürlich ein Klischee. Aber genau darum geht es. Helmut Goltz strafft die Brust, bläst die Backen auf, nimmt Anlauf. Der kernige Mittfünfziger ist Chef der Görlitzer Hanf- und Drahtseilerei. Trotzdem rollt die Kugel nur gemächlich ihrem Ziel entgegen. Stanisław Schwierzchowski ist auch Mittfünfziger, auch Seiler, auch Firmenbesitzer, aber auf der anderen Seite der Stadt – im polnischen Zgorzelec. Schwierzchowski schiebt keine ruhige Kugel. Helmut Goltz erklärt das so: „Wir feiern diesmal ohne die Polen.“ Schließlich sei die Sache schief gegangen.

Ein Gewerbegebiet in Görlitz, neue Werkhalle, 17 Mitarbeiter, florierende Geschäfte. 165 Jahre ist die Goltz’sche Seilerei nun schon alt. Der Chef meint, Feste soll man feiern, wie sie fallen. Deshalb hat er auch das 160. Firmenjubiläum schon mit seinen Mitarbeitern gefeiert. Damals allerdings nicht auf der Kegelbahn, dafür aber mit den Polen. Denn damals gehörten die Seiler aus dem anderen Teil der Stadt noch dazu.

Vor sieben Jahren hatte der Deutsche eine Dependance jenseits der Neiße eröffnet. Genau dort, wo seine Hanf- und Drahtseilerei schon einmal eine Produktionsstätte unterhielt: im Südosten von Zgorzelec, dem damaligen Görlitzer Stadtteil Meuß.

„Die Sache ist nicht gut gegangen“, sagt Helmut Goltz. Wegen der Polen. Und der Grenze wegen. „Unsere Lkws standen mit Ladung im Wert von 10.000 Mark 20 Stunden lang am Zoll“. Die Arbeitskraft und die stehenden Lkws eingerechnet, blieb praktisch kein Gewinn. Nicht dass die fünf polnischen Mitarbeiter schlechte Arbeit geleistet hätten. „Es ist in Polen aber sehr schwer, ordentlich zu wirtschaften“, sagt Goltz. Man könne seine Vorurteile durchaus pflegen. Wenn man denn will. „Das Hauptproblem ist, eine Vertrauensperson zu finden, die mit einem marschiert – auch in schlechten Zeiten.“

Zum Beispiel Stanislaw Schwierzchowski. „Die Knappheit des Geldes ist das Hauptproblem des polnischen Mittelstandes“, sagt der Firmenchef von der anderen Seite. Kredite sind schwer zu bekommen, kosten bis 20 Prozent Zinsen, es gibt nicht mal den Dispo. „Als Unternehmer darfst du niemals ins Minus rutschen. Dann bist du tot.“

Schwierzchowski begann deshalb, mit Geld von Helmut Goltz die polnische Dependance aufzubauen. Und sich bare Rücklagen zu schaffen. „In Deutschland ist immer alles geregelt. In Polen aber herrscht wilder Wettbewerb: Es gibt immer irgendwo einen Preis darunter.“

Nicht nur diese Lektion hat Helmut Goltz begriffen. Er hat auch die polnische Mentalität kennen gelernt, diese „unkonventionelle Art, Verträge auszuhandeln. Die besten Geschäfte werden dort früh um fünf gemacht – nachdem die Nacht durchgefeiert wurde.“ Oder die Flexibilität: „Heute handelt der Pole mit Autorädern. Wenn er die nicht mehr verkauft, dann eben morgen mit Bananen. Man kann sagen: Das ist einfach nicht konstant. Man kann aber auch sagen: unerhört quirlig.“ Polen seien große Händler vor dem Herrn. Am meisten schätzt Goltz ihren Mut.

Wichtigster Charakterzug eines Unternehmers sei die Skepsis gegenüber dem Handelspartner, sagt Schwierzchowski. Er zum Beispiel versucht, alle Geschäfte in bar und gegen Vorauskasse abzuwickeln. „Wenn der Kunde dich sitzen lässt, wird es eng. Wenn dann deine Rücklagen nicht reichen, gehst du Pleite.“

„Wichtigster Charakterzug eines Geschäfts ist, dass beide Seiten etwas davon haben“, sagt der Deutsche Goltz. Mit der Dependance war das so eine Sache. „Die Steuerberater haben in Polen das Gefühl, dem Staat und nicht dem Unternehmer dienen zu müssen.“ Nie sei irgendein Steuergesetz zugunsten seiner Firma ausgelegt worden. Was für Goltz nicht das Hauptproblem war. Das hieß Arbeitsrecht, Bankgesetz, Richtbarkeit. Nicht ein einziges Mal sei es gelungen, ausstehendes Geld einzuklagen. Wie gesagt: Die Sache ist nicht gut gegangen. Nachdem Goltz einen mittleren sechsstelligen Betrag verloren hatte, gab er Polen auf.

Schwierzchowski, der Goltz die Anteile abkaufte, die Firma Linotec nannte und mit drei Leuten weitermachte, bezieht seine Ware jetzt von polnischen Herstellern – aus hunderten Kilometer Entfernung. „Es gibt bei uns nicht dieses Händlersystem wie in Deutschland“, sagt Schwierzchowski. Die Produzenten sind auch Verkäufer, die Preise sind für jeden gleich: für Händler wie Privatkunden. „Das heißt: Die Gewinnspannen sind in Polen sehr viel kleiner als in Deutschland.“

Andererseits: Arbeit – und damit auch das Produkt – ist in Polen viel billiger. Schwierzchowski, der zwei Kilometer Luftlinie von Goltz entfernt mit fast derselben Produktpalette handelt, könnte blendende Geschäfte machen. Geht aber nicht. Wegen der Grenze. „Die Seile haben eine Zulassung für Polen“, sagt Schwierzchowski. Wer sie in Deutschland einsetzt, verzichtet auf jede Form von Haftungsschutz. Besser wird das erst, wenn Polen EU-Mitglied ist. Dann sind die Seile genauso billig, aber EU-weit zugelassen.

Auch Helmut Goltz glaubt, dass mit dem EU-Beitritt Polens alles besser wird. „In Görlitz etwas herstellen, in Zgorzelec verkaufen – was heute eine Katastrophe ist, wird dann Normalität.“ Allerdings räumt Goltz ein, dass da eine Portion Zweckoptimismus dabei ist. „In Zgorzelec ballt sich was zusammen.“ Viele hoch motivierte, flexible junge Menschen würden dort förmlich auf den EU-Startschuss warten. „Unsere jungen Menschen haben dagegen Bretter vorm Kopf. Sie sind satt durch zu viel Wohlstand.“ Goltz hat selbst drei Kinder. Keines will die Firma übernehmen. „Die sehen, dass wir oft zwölf Stunden rackern, und denken, dass das anders wird, wenn sie Journalist oder Beamter werden.

„Uns sagt man immer: Schaut euch an, was in Polen passiert. Bereitet euch auf den Beitritt vor.“ Gemacht haben das die wenigsten. Die Polen dagegen hätten sich richtig gut vorbereitet. Was da auf die Görlitzer zukommt, sei mit den Brüchen nach 1989 zu vergleichen. „Nur dass wir damals auf großes Verständnis aus Westdeutschland gestoßen sind. Diesmal sind wir nicht Partner, sondern Konkurrenten.“

„Die Angst ist unbegründet“, meint StanisławSchwierzchowski. Schon heute würden viele billigere Arbeitskräfte aus Polen in Görlitz arbeiten. Und schließlich habe Deutschland ja eine Übergangsregelung durchgesetzt. „Die Polen müssen viel mehr Angst haben als die Deutschen.“ Es sei doch auch nach 1989 so gewesen, dass der reiche Westen nach Osten zog und dort alles aufkaufte.