Obamas Putztruppe

Wer die Clintons liebt, dürfte zufrieden sein. Wer nicht, dürfte sich fragen, was man noch tun muss, um sie endlich loszuwerden

VON BETTINA GAUS

Klugheit und Vorsicht oder Unsicherheit und Feigheit? Welches Signal sendet der künftige US-Präsident Barack Obama mit der Auswahl seiner außen- und sicherheitspolitischen Führungskräfte an seine Anhänger – und an seine Gegner? Darüber kann man trefflich streiten. Eines allerdings steht fest: Die Botschaft, der neue Präsident wolle einen grundsätzlichen Wandel in der US-Außenpolitik herbeiführen, lässt sich aus diesen Personalentscheidungen nicht herauslesen.

Seit Montag ist es offiziell: Die einstige innerparteiliche Rivalin Hillary Clinton wird Außenministerin, der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Jim Jones wird Nationaler Sicherheitsberater, und der neue Verteidigungsminister ist der alte: Robert Gates soll mindestens noch ein weiteres Jahr das Pentagon leiten. All das spricht nicht für einen radikalen Neuanfang, sondern für den Wunsch nach Beständigkeit.

Bei vielen deutschen Beobachtern dürften Erinnerungen an den Amtsantritt der rot-grünen Koalition vor zehn Jahren wach werden. Der neue Außenminister Joschka Fischer lobte seinerzeit so beharrlich den hohen Wert der Kontinuität, dass er damit selbst ergebene Bewunderer irgendwann langweilte. Bundeskanzler Gerhard Schröder tat es ihm gleich und bekräftigte, man wolle fortan nicht alles anders, aber vieles besser machen.

Wenige Monate später stimmte die Bundesregierung der Beteiligung am völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu. Das war nicht die Außenpolitik, die vor allem zahlreiche Grüne mit ihrem Wunsch nach einem rot-grünen „Projekt“ ursprünglich verknüpft hatten. Droht Obamas Wählerinnen und Wählern ein ähnlich böses Erwachen?

Barack Obama galt im Wahlkampf als „Taube“. Es wurde erwartet, dass er einen kompromisslosen Gegenkurs zur bisherigen Politik der „Falken“ im Umfeld von US-Präsident George W. Bush steuern würde. Viele seiner Anhänger gaben dies in Umfragen als wichtigsten Grund dafür an, den Kandidaten zu unterstützen – jedenfalls bevor die Wirtschaftskrise über die Welt hereinbrach und alle anderen Themen verdrängte. Sie hofften, Obama sei der richtige Mann, um das ramponierte Image der USA aufzubessern, und sie hofften, dass die Ära unprovozierter, verlustreicher Angriffskriege wie gegen den Irak vorbei sein würde.

Obamas Gegner hingegen wurden nicht müde, auf dessen mangelnde außenpolitische Erfahrung hinzuweisen, und fürchteten aus diesem Grund um die Sicherheit der USA. Es ist nicht erstaunlich, dass jetzt der lauteste Beifall für das neue Personaltableau aus den Reihen der Republikaner kommt. Schon vor der offiziellen Bekanntgabe der neuen – alten – Namen priesen die republikanischen Senatoren Lindsey Graham und Dick Lugar die Entscheidungen als „pragmatisch“ und „nicht ideologisch“.

Hat Obama also seine Anhänger getäuscht? Ist er unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Weiße Haus eingezogen? Nein. Er hat im Gegenteil monatelang versucht, dem Eindruck entgegenzuwirken, er sei eine „Taube“. Dass ihm kaum jemand geglaubt hat, und Freund und Feind stattdessen gleichermaßen davon überzeugt waren, er versuche nur die Stimmen der politischen Mitte einzusammeln, ist nicht sein Problem, sondern das von Freund und Feind.

Schon die Benennung von Joe Biden für das Amt des Vizepräsidenten war unmissverständlich gewesen, wenn man denn bereit war, Obama inhaltlich ernst zu nehmen. Der 66-jährige Senator Biden war sowohl ein Befürworter des Krieges gegen Jugoslawien als auch zunächst ein Befürworter des Irakkriegs gewesen.

Obama selbst ist im Wahlkampf für eine Nato-Mitgliedschaft von Georgien und der Ukraine eingetreten, er lehnt einen europäischen Raketenabwehrschild gegen Russland nicht grundsätzlich ab und möchte die US-Truppen vor allem deshalb möglichst schnell aus dem Irak abziehen, um mehr Kräfte für einen verstärkten Einsatz in Afghanistan zur Verfügung zu haben. Außerdem schließt er Angriffe gegen die Nuklearmacht Pakistan nicht aus, falls die Verbündeten das Problem gewaltbereiter Islamisten im eigenen Land nicht unter Kontrolle bekommen. Sieht so eine „Taube“ aus?

In der letzten Fernsehdebatte mit John McCain hatte Obama erklärt, Jim Jones sei einer der Leute, mit denen er Sicherheitsfragen erörtern wolle. Ein hochdekorierter Militär also, ehemals Nato-Oberbefehlshaber in Europa, der zweimal ein Angebot von Bushs Außenministerin Condoleezza Rice ausgeschlagen haben soll, einer ihrer Stellvertreter zu werden.

Jones’ Ernennung zum neuen Nationalen Sicherheitsberater beweist vor allem etwas: Barack Obama hat es ernst gemeint mit seinem Versprechen nach dem Sieg, der Präsident auch jener US-Bürger sein zu wollen, die ihn nicht gewählt haben. Das entspricht durchaus dem bisherigen Werdegang des künftigen Präsidenten.

Obamas Sieg wurde in weiten Teilen der Welt als überraschender Außenseitersieg gewertet, der einen radikalen Neuanfang ermöglichen werde. War das seiner politischen Linie geschuldet oder doch eher seiner Hautfarbe? Anders gefragt: Hätte ein weißer Barack Obama dieselben Ängste und Hoffnungen erwecken können wie ein schwarzer?

Es gibt bislang kein einziges – kein einziges! – politisches Anliegen, das sich mit dem Namen Obama verknüpfen ließe. Sorgfältig hat er es stets vermieden, in irgendeiner Frage allzu konkret zu werden. Die besondere Fähigkeit des demokratischen Politikers scheint eben gerade darin zu liegen, nicht zu polarisieren. Und nicht polarisieren zu wollen. (Hätte ein schwarzer Politiker mit einer anderen Agenda überhaupt eine Chance gehabt? Vermutlich nicht.)

Barack Obama ist vor allem ein Moderator. Jemand, der zwischen gegensätzlichen Standpunkten vermitteln will und zu vermitteln weiß. Das ist vielleicht nicht das Schlechteste, was einer – ökonomisch wie sicherheitspolitisch – verunsicherten Weltmacht passieren kann.

Was jedoch heißt das für die Außenpolitik der USA? Abwarten. Weder Hillary Clinton noch Joe Biden sind heute noch glücklich über ihre einstige Unterstützung für den Irakkrieg. Wenn man nicht unterstellen möchte, dass sämtliche Politiker und Politikerinnen alle Entscheidungen stets und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Machtzuwachses fällen, kann man davon ausgehen, dass eine Fehlentscheidung, die tausende von Menschenleben gekostet hat, diejenigen verfolgt, die sie mitgetragen haben. Und dass diese künftig größere Vorsicht walten lassen werden. Das kann Anlass zu vorsichtigem Optimismus bieten. Im Hinblick auf den Iran, auf Pakistan und auf Russland. Die Betonung liegt allerdings auf „vorsichtig“.

Immerhin hat Obama offenbar darauf bestanden, dass sowohl Clinton als auch Jones und Gates eine Politik unterstützen, die in stärkerem Maße als bisher auf Entwicklungshilfe und Krisenprävention vertraut als auf Krisenintervention. Der also, salopp ausgedrückt, das Kind vom Brunnen wegreißen soll, bevor es hineinfällt. Das ist nicht ausschließlich ein wohlfeiler Satz für eine Sonntagspredigt, das kostet Geld.

Hillary Clintons Ernennung zur Außenministerin hat drei Aspekte: einen innenpolitischen, einen außenpolitischen – und einen Klatschaspekt. Der zuletzt genannte dürfte auf das größte Publikumsinteresse stoßen, und er ist ein bisschen eklig. Weil frauenfeindlich. Konkret: Hillarys Ehemann, der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, musste sich verpflichten, Geldgeber seiner Wohltätigkeitsstiftung zu nennen, um seiner Frau den Weg ins Außenamt zu öffnen. Für den Boulevard ist das ein gefundenes Fressen: Liebe? Macht? Reue?

Wenn man das alles mal weglässt, bleibt eine Banalität übrig: In der – teilweise noch immer – puritanischen und puristischen US-Gesellschaft müssen auch Familienmitglieder von Spitzenpolitikern über jeden Verdacht erhaben sein. Weshalb, beispielsweise, die Präsidentengattin Betty Ford in den Siebzigerjahren offen über ihre Alkoholprobleme sprach und den Kampf gegen Alkoholismus zu einem zentralen Lebensthema machte.

Welchen verborgenen Einfluss würde und wird der ehemalige US-Präsident auf die Außenpolitik seiner Frau nehmen? Eine interessante Frage. Allerdings nicht ganz so interessant wie die Frage, ob das umgekehrt auch irgendjemand je wissen wollte: Wie einflussreich ist die Ehefrau eines Spitzenpolitikers?

Zugegeben: Die Clintons sind ein Sonderfall. Wer sie liebt und schätzt, dürfte es beruhigend finden, dass das Ehepaar weiterhin eine zentrale Rolle in der US-Politik spielt. Wer sie nicht so sehr liebt, dürfte sich fragen, was genau man eigentlich noch tun muss und welche Entscheidung gefällt werden muss, um sie endlich loszuwerden.

Außenpolitisch trennt bei nüchterner Betrachtung Barack Obama und Hillary Clinton nicht so viel. Sie gilt, auch nach Aussage eines radikalen Gegners der gegenwärtigen US-Außenpolitik, etwa des demokratischen Senators Russ Feingold, als ungewöhnlich fleißig und gut informiert. Feingolds Urteil ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil er zu jenen gehört, die ohne Zweifel auf einen radikalen Politikwechsel gehofft hatten.

Neue Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen wird Obamas außenpolitische Beraterin Susan Rice. An die Spitze des Ministeriums für Heimatschutz soll die Gouverneurin von Arizona, Janet Napolitano, rücken. Die Leitung des US-Justizministerium geht an den schwarzen Juristen Eric Holder. Und Robert Gates? Diese Entscheidung wirkt besonders spektakulär – und ist dabei nicht so spannend. Um den Wunsch nach einem nationalen Konsens zu betonen, haben auch frühere Präsidenten jeweils eine Führungskraft der Gegenpartei in herausgehobener Stellung belassen. Der Verteidigungsminister ist dafür die offenkundige Wahl – zumal dann, wenn er, wie Gates, parteiübergreifend geschätzt wird. Weil er in seiner Funktion doch mehr ein Technokrat als ein Politiker ist.