american pie
: Verschwörungstheorien begleiten NBA-Play-offs

Der kleine Pfiff zur rechten Zeit

Es ist wie einst im Mai. Wie immer im Mai, genau genommen. Die Play-offs der Basketball-Liga NBA sind im vollen Gang und die Verschwörungstheorien in voller Blüte. „Jemand sollte den Schiedsrichtern ein Video vom Spiel schicken, sie haben es mit Sicherheit nicht gesehen“, schrieb ein angesehener Kolumnist nach dem dritten Spiel der Los Angeles Lakers gegen die Minnesota Timberwolves. In den letzten Minuten dieser Partie häuften sich die Fehlentscheidungen zugunsten der Lakers fast so eklatant wie im skandalösen sechsten Match der letztjährigen Halbfinalserie gegen Sacramento. Damals gewannen die Lakers und wurden Champion, gegen Minnesota verloren sie trotz des Beistandes der Referees, entschieden die Serie dann aber doch noch mit 4:2 für sich.

Dass so ziemlich jeder, der an der NBA verdient, die Los Angeles Lakers mit ihrem gigantischen Fernsehmarkt im Finale sehen möchte, gilt als ausgemacht. Wie sehr diesem Bestreben nachgeholfen wird, ist ein beliebter Gegenstand der Spekulation. „Spiel 6 Lakers – Kings ist berüchtigt, Spiel 3 Minnesota – Lakers kommt jetzt gleich danach“, sagt Marc Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks und unverwüstlicher Anwalt aller Schiedsrichteropfer. Im letzten Jahr musste der 44-jährige Basketball-Maniac insgesamt eine Million Dollar Strafe an die NBA zahlen, weil er die Referees beharrlich mit seinem verbalen Zorn verfolgte. Diese Saison wurde ihm kein Penny abgeknöpft – „ein harter Schlag für unsere Frühstückskasse“, wie NBA-Commissioner David Stern scherzt. Man habe sich wohl an ihn gewöhnt, glaubt Cuban, und versichert, dass er sich durchaus bemüht habe. Möglicherweise ist der temperamentvolle Springteufel von der Mavericks-Bank aber auch stiller geworden, weil sein Team nunmehr zu den Großen der Liga gehört, was sich in gewachsener Gunst der Referees ausdrückt. Zum Beispiel im siebten Spiel gegen die Portland TrailBlazers, als Dallas Gefahr lief, als erstes NBA-Team überhaupt einen 3:0-Vorsprung in einer Serie zu verspielen. Da entschied kurz vor Schluss ein fragwürdiges Offensivfoul, das zur Disqualifikation des überragenden Arvidas Sabonis führte, die Partie zugunsten der Mavs.

Während Cuban früher über die Schiedsrichter selbst und die Liga, vor allem in Gestalt von David Stern, herzufallen pflegte, sind inzwischen die Teambesitzer das Objekt seiner Kritik. „Wenn Sacramento bestohlen wird, wenn Minnesota bestohlen wird, hörst du das von den Fans, aber nicht von den Besitzern.“ Einmal könne ja noch Zufall sein, aber wenn man sehe, wie jetzt schon wieder Sacramento gegen Utah benachteiligt worden sei, könne man eigentlich schon erwarten, dass die Klubchefs Joe und Gavin Maloof mal den Mund aufmachten. Cuban jedenfalls fordert eine unabhängige Untersuchung des Schiedsrichterwesens, die „jemand von außerhalb der Kirche“ betreibt, sowie die Analyse und Bewertung von strittigen Einzelfällen durch die Liga, so wie es etwa beim Football üblich ist. Nachdem die NBA lange Zeit – ähnlich wie die Schiedsrichterkommission in der Fußball-Bundesliga – darauf beharrte, dass alles in Ordnung sei und Irren eben menschlich, scheint Cubans Kreuzzug langsam Wirkung zu zeigen. „Er hat in manchem Recht“, räumt inzwischen sogar David Stern ein.

Kein Wunder, denn Marc Cuban führt nicht nur Datenbanken über jeden Referee, sondern analysiert detailbesessen eine Vielzahl von NBA-Partien. In der Vergangenheit waren der selten geahndete robuste Körpereinsatz von Lakers-Center Shaquille O’Neal und dessen unerlaubt langes Verweilen unter dem gegnerischen Korb die Hauptstreitpunkte. Inzwischen ist ein besonderer Dorn in Cubans Auge die mangelnde Anwendung der defensiven Drei-Sekunden-Regel gegen Spieler wie Shaquille O’Neal oder Tim Duncan.

Ob er Gelegenheit bekommt, dies in den Play-offs noch hautnah zu erleben, ist allerdings fraglich. So wie sie sich gegen Portland präsentierten, werden den Mavericks im Viertelfinale gegen Sacramento kaum Chancen eingeräumt. Den Kings wiederum könnte ein neues skandalträchtiges Treffen mit den Lakers erspart bleiben. Am Dienstag führte Tim Duncan die San Antonio Spurs beim Auftakt der Serie gegen Los Angeles zu einem überzeugenden 87:82. Danach klagten die Lakers bitterlich über die Schiedsrichter. MATTI LIESKE