Das Ziel ist Instabilität durch einen Bürgerkrieg

Die Anschläge könnten von al-Qaida organisiert sein. Der Terrororganisation liegt an einem instabilen Irak und der Radikalisierung der Schiiten

KAIRO taz ■ Die Anschläge auf schiitische Gläubige in Kerbela und Bagdad verfolgen das Ziel, die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten zu verschärfen. Die Täter haben offensichtlich ein Interesse an einer instabilen Lage im Irak, und das Entfachen eines Bürgerkrieges wäre die einfachste Methode, dieses Ziel zu erreichen. Eine menschenverachtende Gegenstrategie zur US-Besatzung, die an einem stabilen Irak interessiert ist und für die die Mitarbeit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit von entscheidender Bedeutung ist.

Möglich ist, dass die Täter aus den Reihen von al-Qaida stammen. Vor drei Wochen hatte die US-Besatzungsverwaltung ein angebliches Strategiepapier des Netzwerks für den Irak veröffentlicht. Darin heißt es, die Gruppe wolle einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten schüren. Dadurch sollten die Sunniten radikalisiert und in die Arme religiöser Extremisten getrieben werden sollen. „Der Krieg gegen die Schiiten wird bald beginnen – zur Stunde null, mindesten vier Monate, ehe die Amerikaner im Juli die Souveränität des Landes an die Iraker übergeben werden“, heißt es in dem Schreiben, das angeblich von Abu Musab al-Zarqawi verfasst worden sein soll, einem Jordanier, der vom US-Geheimdienst als führendes Al-Qaida-Mitglied im Irak angesehen wird.

Ob dieses Dokument authentisch ist, konnte bisher allerdings von keiner unabhängigen Seite bestätigt werden. Hohe Pentagon-Beamte beschrieben das Strategiepapier anfangs als „zu gut, um wahr zu sein“. Manche spekulieren, dass die US-Besatzer al-Qaida den schwarzen Peter zuschieben wollen, wenn die Lage im Irak außer Kontrolle gerät. Tatsache aber ist, dass in letzter Zeit Anschläge auf Schiiten oder ihre Moscheen zugenommen haben.

Ob die Rechnung der Täter aufgeht, ist noch unklar. Nicht nur der von der US-Verwaltung bestimmte irakische Regierungsrat rief die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren, ordnete eine dreitägige Staatstrauer an und beschwor die irakische Einheit. Auch die politische und geistliche Führung der Schiiten blieb diszipliniert und rief dazu auf, nicht in die Falle eines Bürgerkrieges zu tappen. Eine Linie, die bereits wenige Stunden nach den gestrigen Anschlägen von verschiedenen schiitischen Geistlichen in den großen arabischen Fernsehstationen wiederholt wurde. Auch unter den irakischen Sunniten gibt es wenig Bereitschaft, nach acht Jahren Krieg mit dem Iran, zwei bewaffneten Konflikten mit den USA und zwölf Jahren UN-Sanktionen jetzt auch noch die Erfahrung eines Bürgerkrieges zu machen. Selbst das angebliche Al-Qaida-Papier moniert, dass es bisher nicht gelungen sei, viele Iraker zur Mitarbeit zu bewegen. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte eine Gruppe prominenter sunnitischer Geistlicher eine Fatwa, in der sie dazu aufriefen, keine Iraker zu töten. „Auf eine irakische Organisation zu zielen, stellt keinen Dschihad, sondern schlichtweg eine Aggression dar“, heißt es dort. Übrigens ist von Anschlägen auf Amerikaner in dem islamischen Rechtsgutachten nicht die Rede. „Wenn ihr eine Fatwa über die Amerikaner wollt, dann würde ich nur schreiben, dass sie aus dem Land verschwinden sollen“, erklärte der sunnitische Scheich Fadil al-Kubaisy, einer der Verfasser, auf Nachfrage.

Nach den gestrigen Anschlägen dürfte der Ruf nach bewaffneten schiitischen Milizen wieder laut werden, um das Sicherheitsvakuum auszufüllen. Nach dem tödlichen Anschlag auf einen der wichtigsten schiitischen Führer des Landes, Ajatollah Baqr Hakim, im vergangenen Sommer kontrollierten schiitische Milizen mehrere Tage Nadschaf, während sich die Amerikaner in gebührendem Abstand in den Außenbezirken postierten. Sollte nun eine ähnliche Entwicklung eintreten, wären die Täter von Kerbela und Bagdad ihrem Ziel, einen Bürgerkrieg anzuzetteln, doch einen Schritt näher gekommen.

KARIM EL-GAWHARY