Die Qual der Wahl: Billy Bragg und Ron Sexsmith in Hamburg – an einem Abend in der Großen Freiheit und der Weltbühne
: Diese Gitarre sagt „Es tut mir leid“

„This machine kills fascists“, hatte sich der junge Woody Guthrie zornig auf die Gitarre geschrieben. Der Engländer Billy Bragg (Foto rechts) machte Ende der 70er Jahre sein trauriges „This guitar says sorry“ daraus, ohne allzu viel über sein Vorbild zu wissen. Braggs Karriere als politischer Folksänger hatte gerade begonnen – und Guthrie war für ihn so etwas wie das linke Gewissen Amerikas.

Mehr als 20 Jahre danach ist Bragg selbst zum guten Gewissen der englischen Popmusik avanciert. In den 80er Jahren hatte er mit Kinnocks Labour-Party geflirtet, die linke Aktivistengruppe „Red Wedge“ mitgegründet, für die Minenarbeiter gestreikt, später dann sein rotes Parteibuch wieder zurückgegeben und frei nach Antonio Gramsci den „Sozialismus des Herzens“ ausgerufen. Außerdem natürlich unzählige Hits auf der E-Gitarre geschrieben, in der Tradition von Bob Dylan, The Clash und, eben, Woody Guthrie.

Bald wurde aus dem Punk der Folkie von nebenan – und alle schwarzgrau gekleideten sentimentalen jungen Menschen liebten ihn von ganzem Herzen. „Will man eine McDonald‘s-Gesellschaft oder will man eine Gesellschaft, die Mitgefühl hat“, fragt Bragg bei seinen Konzerten gerne in die Runde – und erklärt die Probleme der Welt mit nicht mehr als zwei Fingern. Der Unterschied zwischen seinem linken und rechten Daumen, zum Mitschreiben: „Menschen, die sich kümmern – und solche, die nur an sich selbst denken.“

Auch wenn Bragg seine alten „Love & Hate“-Nummern als „Angry one man punkband“ nicht vergessen hat (jeder der „Greetings to new brunette“, „Milkman of human kindness“, „There is power in a union“ und die großartige Hommage an die Four Tops, „Levi Stubbs‘ Tears“ einmal gehört hat, ist wohl noch bis ans Lebensende verzaubert) – Bragg wird beim Solokonzert in der Großen Freiheit sicher auch viele Stücke vom neuen Album England, Half English spielen. Oder andere alte, nach Texten von Woody Guthrie, die er auf zwei Alben mit der amerikanischen Band Wilco eingespielt hat, irgendwo zwischen Countryrock, Folk-Minimalismus, Blues- Emphase und brüchiger Soul-Poesie.

Man könnte an diesem Samstag Abend Billy Bragg aber auch einfach einen guten Mann sein lassen, seufzen – und statt in die Große Freiheit einfach in die Weltbühne gehen. Das klingt ähnlich international – und auch hier wird nur ein Mann mit seiner Gitarre (und vielleicht einem Piano) auf der Bühne stehen. Dieser Mann, ein jung aussehender, pausbäckiger Kanadier, hat zwar noch nicht für Minenarbeiter gestreikt, doch immerhin ist er ein Meister honigsüßer Folk-Melancholie.

Deutlich in den Sixties geerdet sind seine bittersüßen Balladen, kleine hoffnungsvolle Oden mit Zeilen wie „Your light will return. The summer will return. Your heart will rise again in its former glory“. Höhepunkt der letzten Platte war das wunderbare „God loves everyone“. Musik, ganz warm und wunderschön. Jetzt stellt Sexsmith (Foto links) sein im Mai erscheinendes Album Retriever vor, auf dem auch einige Musiker der Nieselregen-Popromantiker von Travis zu hören sein werden. Und zum Schluss die gute Nachricht für musikalische Nimmersatts: Weil Billy Bragg ein Frühkonzert gibt, könnte es mit etwas Glück sogar klappen, beide Konzerte zu hören. Marc Peschke

Billy Bragg, Samstag, 18.30 Uhr, Grosse Freiheit 36; Ron Sexsmith, Samstag, 21.30 Uhr, Weltbühne (im Phonodromgebäude)