Authentische Fiktion: Soazig Aaron liest im Literaturhaus aus ihrem Roman „Klaras Nein“
: Das Schweigen nach dem Überleben

Die Zeit, in der jene, die die Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebten, ihre Erinnerungen weitergeben können, rückt ihrem Ende entgegen. Die Möglichkeit, dass die persönliche Rede über die Erfahrung des Todes das kollektive Gedächtnis speist und lebendig erhält, wird es bald nicht mehr geben. Bleiben werden schriftliche Überlieferungen. Wie aber der Musealisierung von Erinnerung entgehen? Jorge Semprun, selbst ein Überlebender, hofft, dass „kühne und bescheidene literarische Werke erscheinen – kühn in der Erfindung oder der getreuen Rekonstruktion der Wahrheit; bescheiden in der peinlichen Beachtung des Wahrscheinlichen.“

Das Buch Klaras Nein der französischen Autorin Soazig Aaron, die jetzt ins Literaturhaus kommt, ist für ihn die erste Einlösung dieser Hoffnung. Das Wagnis ist groß: Wie ist „angemessen“ von Auschwitz zu erzählen – ohne die Legitimation durch das eigene Erleben? Weder Aaron, Jahrgang 1949, noch ihre Familie sind „Betroffene“. Die Skepsis besteht zu Recht. Aber sollte sich daraus ein Tabu ableiten? Juli, 1945, Paris: „Klara ist zurückgekehrt. Ich muss es schreiben, damit es wirklicher wird und um daran zu glauben.“ Dies sind die ersten Sätze in Likas Tagebuch, das sie beginnt, als Klara, die Freundin und Schwägerin, nach drei Jahren wieder da ist. Am Leben ist. Klara aber, Tochter aus einer „Mischehe“, ist nicht mehr die, die sie war, bevor sie 1942 nach „da unten“, wie sie Auschwitz nennt, deportiert wurde.

Klaras Nein besteht aus den Tagebuchaufzeichnungen Likas, sie schildert die mühsamen Versuche der Annäherung. So erzählt Aaron auch von dem Leben mit den Überlebenden. Und darin gibt es eine unüberwindbare Fremdheit. Viel Schweigen. Bruchstückhaftes Sprechen Klaras. Lika hört zu. Dennoch kann die Sprache nur ein hauchdünner Verbindungsfaden sein, weil „dort unten“ die Worte ungültig wurden; angesichts der Wirklichkeit des Lagers versagen die Benennungen.

Jene Wirklichkeit und die „normale“ Welt, sie bleiben geschieden – Klara kann nicht in die „Normalität“ zurückkehren. Und Lika kann nicht begreifen, was unbegreiflich ist. In Klaras Satz „Ich bin eine Welt geworden, zu der ich keinen Zugang habe, die ich nicht verstehen kann“ offenbaren sich Grenzen, die auch einem Verstehen von außen gesetzt sind. Angesichts der Härte Klaras, dem Wegfall aller konventionellen Umgangsformen fühlt Lika auch Abwehr. Manchmal kann sie die Anwesenheit der Freundin kaum ertragen. Und Klara sich selbst nicht: Aaron beschreibt das Dilemma, sich inmitten des Grauens innerlich für das „Überdauern“ entschieden zu haben; und wenn dieses „Ziel“ erreicht ist, mit der Tatsache überlebt zu haben, nicht leben zu können. Eine unauslöschliche Scham zu empfinden. Klaras Nein gilt der Rückkehr in das alte Leben. Sie reist in die USA. Es gilt auch der kurz vor der Deportation geborenen Tochter, die sie auch jetzt bei den Freunden zurücklässt, um sie nicht mit ihrem inneren Tod zu belasten. Man soll ihr später sagen, ihre Mutter sei in Auschwitz umgekommen, der Tochter so die Erfahrung des Verlassenwerdens ersparen.

Das große Wagnis, das dieses Buch darstellt, scheint gelungen. Vermutlich hat Aaron viel zugehört, bevor sie es einging. Und dafür eine ebensolche Gabe wie zur literarischen Einfühlung. Carola Ebeling

Soazig Aaron: „Klaras Nein“. Berlin 2003, 188 S., 19,50 Euro Lesung: Do, 4.3., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38