Aufschrei der stillen Diplomaten

„Bremer Taliban“: Die Mutter von Murat K. und Rechtsanwalt Docke reisen heute für eine Woche in die USA, um den öffentlichen Druck auf die Bush-Administration zu verstärken und die Freilassung des jungen Türken zu erreichen

Bremen taz ■ Er habe „sowohl Neues wie leider auch Altes“ mitzuteilen, sagte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke gestern zu Medienvertretern, die er in der Villa Ichon zusammengetrommelt hatte. Hintergrund: Docke und die Mutter des als vermeintlicher „Bremer Taliban“ bekannt gewordenen Murat K., der Anfang 2002 nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze verhaftet wurde und seitdem auf dem kubanischen US-Stützpunkt Guantánamo festgehalten wird, reisen morgen in die USA.

Dort wollen sie, zusammen mit Rechtsanwälten aus Großbritannien und Frankreich sowie mit Angehörigen anderer Gefangener, die Öffentlichkeit für das unbekannte Schicksal der etwa 660 Inhaftierten aus 43 Ländern sensibilisieren. Zwar begännen derzeit erste Verfahren vor Militärkommissionen, doch diese entsprächen „nicht dem Standart internationaler Gerichte“.

Docke erhofft sich jetzt eine „Trendwende in der US-Justiz“, was Guantánamo anbetrifft – mit der „Tendenz, die exekutivische Allmacht der Bush-Administration zu beschränken“. Der Supreme Court, das oberste Gericht der USA, werde voraussichtlich im Juni darüber entscheiden, ob amerikanische Richter für die angeblichen Taliban-Kämpfer zuständig sein müssten, sagte Docke. Mittlerweile habe es einen „Aufschrei der stillen Diplomaten“ vom Internationalen Roten Kreuz gegeben, und ein britischer Lordrichter habe das „monströse Versagen des Rechtsstaates“ angeprangert.

Er habe den Eindruck, dass sich die USA unter diesem Druck „ein Stück weit aus ihrem politisch-juristischen Autismus heraus und in Richtung der Wirklichkeit des Völkerrechtes bewegten“, sagte der Anwalt. Das Pentagon habe angekündigt, 120 bis 140 Gefangene freizulassen – Docke hofft, dass auch Murat K. darunter sein wird – ohne allerdings konkrete Informationen darüber zu haben.

Betreut von der britischen „Guantanamo Human Rights Commission“ will die 20-köpfige Delegation in Washington Gespräche mit Politikern, Diplomaten und Bürgerrechtsorganisationen führen. Außerdem wolle er mit örtlichen Anwälten über eine etwaige Klage in den USA beraten, sagte Docke. Sein Ziel sei es, ein „Lebenszeichen von oder über Murat K. zu bekommen“ und dessen Freilassung „ein Stück weit zu beschleunigen“. Sollten die Amerikaner jedoch „irgendwas gegen ihn in petto haben“, dann sollen sie ihn vor einem rechtsstaatlich zusammengesetzten Gericht anklagen, fordert Docke.

Der heute 21-Jährige türkische Staatsbürger Murat K. war im Oktober 2001 nach Pakistan gereist – angeblich, um eine Islamschule zu besuchen. Sein letztes Lebenszeichen ist eine Postkarte aus Guantánamo, die im Mai 2002 in Bremen eintraf. jox

Infos unter www.guantanamohrc.org