Choreografie für Kaufwillige

Das Drängen des Expressionismus verbindet sich mit der kühlen Ästhetik der Neuen Sachlichkeit, und die Formen flitzen davon: „Dynamik und Funktion“, eine Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin, widmet sich dem Architekten Erich Mendelsohn

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es beginnt mit Bildern der Reise. Die Hochhäuser New Yorks, Stadtmauern in der Wüste, antike Ruinen. Ihnen gegenüber hängen im „Transit“ betitelten Raum der Ausstellung über den Architekten Erich Mendelsohn in der Berliner Akademie der Künste Bilder, die er sammelte: vom Skelett eines Schiffrumpfs, von Autoverkaufshäusern und Rennwagen, selbst von Raketen, damals noch utopische Zeichnungen. Technikbegeisterung spricht aus diesen Bildern, Neugierde und Schaulust, der Luxus ausgedehnter Reisen. All diese Bilder stammen aus der Dia-Sammlung des Architekten, einem visuellen Tagebuch und Fundus über die Ästhetik der Mobilität.

Diese Sammlung, die zum ersten Mal ausgestellt wird, stimmt gleich doppelt auf Leben und Werk des Architekten ein. Zum einen bereitet sie auf seine Biografie vor: Über drei Kontinente sind 50 Bauten Mendelsohns verstreut, Büros unterhielt er in Berlin, London, Jerusalem, New York und San Francisco. Schon vor der Emigration 1933 bestimmten Studien der Architektur und das Interesse für die Entwicklung des Zionismus die Ziele seiner Reisen. Anfang der Zwanzigerjahre war der junge Berliner Architekt in Palästina, Holland, der Sowjetunion und den USA unterwegs. Zum andern finden sich in der Bildersammlung schon jene beschwingten Formen und eleganten Kurven, für die Erich Mendelsohn berühmt wurde. Seine Kaufhausfassaden mit Bändern aus Licht, die sich vor dem Auge des Betrachters wie Filmrollen abspulen, sind zu einer Inkunabel der großstädtischen Architektur der Moderne geworden.

Doch bevor seine Bauwerke auf der Erde landeten, sausten sie erst mal durch den leeren Raum. So sieht es zumindest aus auf den kleinen expressiven und oft aus der Untersicht gezeichneten Skizzen, die 1914 entstanden, im Schützengraben des Ersten Weltkriegs, losgerissen von Historismus und Gründerzeit. Kriegsdienst, Nachtwachen und Papierknappheit sorgten für einen schnellen Strich und Bündelung auf wenigen Quadratzentimetern, auch wenn damit monumentale Bauaufgaben umrissen wurden von Kraftwerken, Fabriken und Lichtspielpalästen. Diesen visionären Stil der Zeichnung behielt Mendelsohn später in seinen Entwürfen bei. Er erscheint immer wieder wie eine Befreiung.

Wie dieses Davonflitzen der Formen dann in ein funktional durchdachtes Bauprogramm mündete, dokumentieren historische Fotografien der Bauten Mendelsohns und neue Architekturmodelle. Heute käme man wohl kaum mehr auf die Idee, von den Kaufhäusern einer Stadt als Zeichen ihrer Modernität zu schwärmen. Nicht allein die Konsumkritik hat die Lust daran zerstört, sondern vor allem die Warenanhäufung selbst. Kaufhausbesuche heute sind Hindernisrennen. Nichts mehr von einer eleganten Choreografie, die das Strömen der Masse organisiert und dennoch den Einzelnen sicher ans Ziel seiner Wünsche geleitet. Das aber versprachen die Kaufhäuser Mendelsohns, für die er in den 20er-Jahren die meisten Aufträge erhielt, durch ihre Gestaltung.

Mendelsohns Ideen verbanden die drängende Dynamik des Expressionismus mit der kühlen Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. Die Kaufhäuser wurden zu Werbeträgern, selbst Bauzäune wurden als Werbeflächen genutzt. Die Lichtreklame korrespondierte mit den horizontalen Fensterbändern und schmalen Simsen, die die Baumassen in fließende Bewegung auflösten.

„Also sei mutig, sei klug! Fass das Leben am Schopf, gerade dort, wo sein lebendigstes Herz schlägt, mitten im Leben, mitten in Technik, Verkehr und Wirtschaft. (…) Treppe, Eingang, Fensterbänder, hinein in den Rhythmus der sausenden Autos des Schnellverkehrs …“. Der euphorische Klang einer Rede Mendelsohns bei der Eröffnung des Kaufhaus Schocken in Nürnberg überträgt noch einmal das Vertrauen in die Neuheit des Lebens, den Glauben, mit der Technik Zukunft zu gestalten.

Doch Mendelsohn bewegte sich nicht nur im Terrain der Stadt sicher. Seine Villen, fast immer für gut betuchte Auftraggeber, sind Ausdruck einer Verbindung von Landschaft und Luxus. Da beeindrucken besonders die Fotos seiner Arbeiten aus Palästina, die mit einem anderen Klima umgehen mussten. Sie nehmen die Geschlossenheit archaischer Bauten auf und treten in den Materialien und Anleihen an orientalische Formen in einer Dialog mit kargen Hügeln und flirrender Luft.

Mehrere Institutionen, die ifa-Galerie, die Akademie der Künste, die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen und die Wüstenrot-Stiftung haben zu der Ausstellung 50 Jahre nach dem Tod des Architekten beigetragen. Im letzten Kapitel werden das Schicksal der Bauten und die Probleme ihres Erhalts dokumentiert. Der Platz, der ihrem Entwerfer in der Architekturgeschichte sicher ist, schützte sie nicht vor Zerstörung, Abriss, Verfall, Verkauf und grober Rekonstruktion. Ihr Gesicht ist oft von einem späteren Standard überformt, der sie ununterscheidbar macht, zumal Kopien die klaren Konturen der Ideen Mendelsohns bis zur Anonymität verschliffen haben.

Akademie der Künste Berlin, bis 2. Mai. Katalog „Erich Mendelsohn. Dynamik und Funktion“, 35 Euro