DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Die alten Stöcke von Georg Thoma

Ist Nordic Walking auf dem Weg zum Trendsport? Abwarten. Jedenfalls kennt keiner den wahren Erfinder – außer mir

In wenigen Tagen wird die Natur ihr Winterkleid abgelegt haben. Viele machen sich mit den ersten wärmeren Sonnenstrahlen dann wieder auf den Weg in den Wald oder in die Parkanlagen. Bewegung tut einfach gut. Wundern Sie sich nicht, es werden ihnen auch Menschen mit Stöcken in den Händen begegnen. Dies liegt nicht daran, dass all diese bewegten Menschen nicht auf das Gefühl des Skifahrens verzichten können. Es handelt sich vielmehr um eine neue Trendsportart. Nordic Walking.

Diese neue Sportart scheint ein Teamsport zu sein. Einzelgänger sind selten, meistens begegnen mir bei meinen Dauerläufen größere Gruppen. Auf den ersten Blick lassen sich innerhalb der Gruppen zwei unterschiedliche Walking-Typen erkennen. Die einen schauen – ganz konzentriert – nach vorne. Sie fixieren eine Punkt, der zwanzig Meter vor ihnen am Boden liegt. Ausschließlich ist ihre Konzentration auf ihren Gehrhythmus gelenkt. Dabei murmeln sie Unverständliches vor sich hin: „Rechter Stock hat Bodenkontakt, wenn die linke Ferse aufsetzt – linker Stock hat Bodenkontakt, wenn rechte Ferse aufsetzt – rechter Stock, linke Ferse – linker Stock, rechte Ferse ...“ Mein freundliches „Guten Tag“ bringt sie jedes Mal sofort aus dem Rhythmus und im schlimmsten Fall enden solche Zwischenfälle in einem fürchterlichen Stock- und Fersensalat.

Die andere Hälfte der Gruppe versteht ihre Stöcke nicht als Sportgeräte, sondern als verlängerten Arm. Meist wird der als Vortrags- bzw. Zeigestock verwendet, um den walkenden Kollegen auf einen besonders schönen Singvogel aufmerksam zu machen. Bei dieser Nordic-Walker-Spezies ist für uns Läufer also äußerste Vorsicht geboten. Bei der Annäherung einer Nordic-Walking-Gruppe von hinten drohen stets lästige Gespräche.

Nordic Walking scheint jedenfalls gerade für Sporteinsteiger ideal,und da drängt sich die Frage auf: Warum erst jetzt? Woher kommt Nordic Walking, wer hat es erfunden? Kritiker, die in jeder Art von Leibesübung Unmenschliches sehen, behaupten: Nordic Walking ist eine reine Erfindung der Skistockindustrie. Neue Absatzmärkte wurden gesucht, denn ohne Schnee kein Wintersport. Also musste ein neuer Markt her, eine Sommersportart. Die zweite Mutmaßung dreht sich um das Wort „Nordic“. Es könnte symbolisch für den Norden Europas stehen.

Oder kommt Nordic Walking aus den USA? Ein Bewegungsguru, so wird die Geschichte erzählt, habe auf seinem langen Marsch durch die Wüstenstaaten Arizona und Utah Skistöcke als Hilfsmittel verwendet. Tja. Noch tasten Sporthistoriker im Dunkeln. Derweil melden die Wintersportarten Langlauf, Biathlon und Nordische Kombination Ansprüche an die Erfindung dieser Trendsportart an.

Bei einem Besuch im Skimuseum in Hinterzarten fielen mir die alten Stöcke von Georg Thoma ins Auge, dem Olympiasieger von 1960 der Nordischen Kombination. Und da war mir plötzlich alles klar. Kein Guru aus den USA, keine Finne oder Norweger, sondern der „Jörgle“, wie er im Schwarzwald genannt wird, hat Nordic Walking erfunden. In dessen Biografie „Vom Hütejungen zum Skikönig“ beschreibt Gerd Jauch den Aufstieg des Skiidols.

Fehlendes Geld für die Skiausrüstung verdiente er mit dem Verkauf von Naturalien dazu und legte zu diesem Zweck große Strecken zu Fuß zurück. „Weil er wie üblich barfuß unterwegs war“, bekam er kalte Füße. Zur Erwärmung, so ist es dokumentiert, stellte er sich mit den kalten Zehen in einen warmen Kuhfladen. Von Stöcken ist zwar nicht explizit die Rede, aber würden Sie ohne Stock inmitten einer Kuhherde stehen wollen?

Für Thoma spricht ein zweites Indiz: der Skigang. Dabei handelt es sich um ein spezielles Sommertrainingselement bei den Skilangläufern. Allerdings wurde mir von Skilangläufern berichtet, dass es mit dem schnelleren Spazierengehen der Nordic-Walking-Szene nur wenig gemein hat. Um ehrlich zu sein, ist es meist ein normaler Dauerlauf. Und am Berg werden dann die Stöcke zur Hilfe genommen.

Keine Frage: So hat alles angefangen.

Fragen zu Nordic Walking? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH