Super-Kerry vs. The President

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Kampfgeist, Zähigkeit und Ausdauer gelten als John F. Kerrys wichtigste Eigenschaften. Sie haben ihm zu seinem fulminanten Comeback verholfen, als er vergangenes Jahr längst abgeschrieben war. Doch „Comeback-Kerry“ wird sie noch dringender brauchen, um die viel, viel härtere Strecke zur Präsidentenwahl im November durchzuhalten. Denn es gilt, einer unerbittlichen und aggressiven PR-Maschine der Republikaner nunmehr täglich die Stirn zu bieten. Eine Verschnaufpause werden ihm seine Gegner nicht gönnen. Verglichen mit den kommenden acht Monaten war das Rennen bislang eher ein Dauerlauf. Jetzt folgt der „Iron Man“.

Eher eisern als wirklich gelöst blickte denn der strahlende Wahlsieger des „Super Tuesday“ von der Rednerbühne im Washingtoner Wahlhauptquatier, wo er die Demokraten auf die Herkulesaufgabe einschwor. Demokratische Vorwahlen in neun von zehn Staaten hatte Kerry am Dienstag gewonnen. Seine Siegesrede war weniger eine Danksagung an seine Anhänger als eine Kampfansage an George W. Bush, der den Senator aus Massachusetts noch kurz zuvor überraschend angerufen hatte, um ihm zum Erfolg zu gratulieren. „Veränderung kommt nach Amerika!“, rief der Vietnam-Veteran in die jubelnde Menge.

Deutlich grenzte er sich von Bushs Politik ab und skizzierte die Bruchstellen. Er hat damit Ralph Nader, dem einstigen Verbraucheranwalt und Grünen-Star, die Munition genommen. Nader hatte seine erneute, umstrittene Bewerbung als unabhängier Kandidat damit begründet, dass es keine klaren Unterscheidungsmerkmale mehr zwischen den beiden großen Parteien gebe. Außenpolitisch warf Kerry Bush vor, dass dessen unilaterale und ideologische Politik gescheitert sei. Er werde die USA aus der Isolation herausführen und stärker mit der internationalen Staatengemeinschaft kooperieren, denn nur so lasse sich der Kampf gegen den Terror gewinnen.

Innenpolitisch bezeichnete Kerry Bush als „großen Spalter“. Er kündigte an, Bushs Steuersenkungen für die Reichen rückgängig zu machen, den Bildungssektor und das Gesundheitswesen auszubauen. Zudem will er 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen und das Haushaltdefizit halbieren. Er versprach zudem ein ehrgeiziges Programm, mit dem die USA von ausländischen Energieressourcen unabhängig gemacht werden sollen.

Kerrys bisheriger Siegeszug in den Vorwahlen ist in der Geschichte der Demokratischen Partei ohne Beispiel. Er gewann bisher 25 von 28 Vorwahlen, oftmals mit deutlichem Abstand. Noch Anfang des Jahres wurde ihm keine Chancen gegen den Politrebellen Howard Dean eingeräumt. Der 60-Jährige verstand es jedoch, sich den Demokraten als derjenige zu präsentieren, der als Einziger das Zeug hat, Bush zu schlagen. Seine Anhängerschar findet sich zudem überraschend in allen Wählergruppen, selbst unter Vorstädtern, Schwarzen und in den Südstaaten. Die Frage ist jedoch, wie gut er bei moderaten Republikanern und unabhängigen Wählern ankommt, der wahlentscheidenden Bevölkerungsgruppe. Sie schienen bislang eher John Edwards, den jugendlichen und charmanten Senator aus North Carolina, zu favorisieren.

„Mr. Likeable“, der gestern seinen Rückzug aus dem Rennen ankündigte, fand nach seiner Niederlage ausschließlich lobende Worte für „Mr. Electable“, um sich für mögliche höhere Weihen zu empfehlen. Auch Kerry schmierte seinem hartnäckigsten Kontrahenten nur Honig um den Mund. Schließlich ist er Edwards zu Dank verpflichtet. Dieser hat den innerparteilichen Ideenwettstreit lebendig gehalten und ihm geholfen, sich als Gewinner und respektabler Herausforderer von Bush zu präsentieren. Edwards, der bessere Rhetoriker, brachte Kerry auch dazu, seine oft steife und verklausulierte Redeweise lebendiger zu gestalten.

Die Spekulationen ranken sich nun um die Frage, ob Edwards zum Running Mate, also zum Kandidaten für das Vizeamt erkoren wird. Dies ist eine delikate Entscheidung, geht es doch darum, eigene Schwächen auszugleichen, mangelnde Qualitäten zu ergänzen und Akzente zu setzen, kurz, ein Dreamteam zu bilden. Viele halten Edwards für den Mann der Stunde. Andere glauben, Kerry könnte erstmals eine Frau oder einen Latino oder Schwarzen nominieren – ein Schachzug, der wahltaktisch womöglich erfolgversprechender ist, als den Südstaatler Edwards ins Boot zu holen.

Mit der Entscheidung kann sich Kerry noch Zeit lassen bis kurz vor dem Nominierungsparteitag im Juli in Boston. Vorerst dürften ihn andere Sorgen plagen. Vornehmlich die, wie er die Millionen zusammenbekommt, um das Marathon bis zum Nominierungsparteitag und weiter zum Wahltag kampagnentechnisch zu überstehen. Acht lange Monate sind es noch bis dahin. Dies sei angesichts der bereits begonnenen Schlammschlacht ohnehin „jenseits des Overkills“, meint die New York Times.

Kerry sieht sich dabei drei wesentlichen Herausforderungen gegenüber. Er muss unermüdlich Spenden sammeln, vor allem um landesweit teure Fernsehminuten für Wahlspots zu kaufen. Bislang verfügt er „lediglich“ über 33 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Bush hat 150 Millionen Dollar angehäuft. Weiterhin muss er versuchen, seinen gegenwärtigen Schwung beizubehalten. Dies dürfte ohne TV-Debatten und konstante Medienaufmerksamkeit schwieriger werden. Gewöhnlich schalten die Wähler nun wieder auf Baseball um und klinken sich erst wieder bei der Parteitagsshow und den nachfolgenden Fernsehduellen zwischen Amtsinhaber und Herausforderer ein. Schließlich muss Kerry dem Dauerbeschuss der Republikaner Paroli bieten. Die vergangenen Tage gaben bereits einen Vorgeschmack dessen, was ihn erwartet.

Die Konservativen werden keine Gelegenheit auslassen, Kerry als „Liberalen“ zu brandmarken. Sie werden den Kulturkrieg führen, ihm seine Positionen zu Homoehe, Abtreibung, Todesstrafe und Waffenkontrolle um die Ohren hauen. Genüsslich sahen sie daher am Dienstag Kerry von einem Wahlkampfauftritt nach Washington in den Kongress eilen, um im Senat für ein Gesetz zu stimmen, das die Haftung für Waffenhersteller verschärft – eine Bestimmung, gegen die die Waffenlobby seit langem zu Felde zieht. Es wird wohl nur eine Frage weniger Tage sein, dass Bushs Strategen die ersten Anzeigen in den waffennärrischen Südstaaten schalten, um ihm aus diesem Votum einen Strick zu drehen.

Diese Episode verweist auf die Fallen, die auf einen Senator lauern, der als Präsidentschaftskandidat antritt. Anders als der Gouverneur eines Bundesstaates ist er aufgrund seines früheren und seines Abstimmungsverhaltens in der verbleibenden Zeit bis zu den Wahlen angreifbar: Dies gilt für Kerry umso mehr, als er oftmals widersprüchliche Haltungen vertreten hat. Reichlich Angriffsfläche bietet jedoch auch ein selbst ernannter Kriegspräsident wie Bush, der Sicherheitspolitik zum Markenzeichen seines Wahlkampfs gemacht hat. Die anhaltend gefährliche Lage in Afghanistan, Irak und Haiti, jeder Bombenanschlag in Bagdad bietet Kerry die Chance, Bushs Fehler im Kampf gegen den Terror aufzuzeigen und sich als fronterprobte und außenpolitisch erfahrene Alternative zu porträtieren.